Sprechen und Schreiben Sie Deutsch? Niveau A1, A2 oder B1?
Der Bundesrat hat am 1. Dezember 2017 die Vernehmlassungen zur Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit und zur Verordnung über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern eröffnet. Diese Vernehmlassungen sind Bestandteil der Teilrevision des Ausländerinnen- und Ausländergesetzes, die am 16. Dezember 2016 vom Parlament verabschiedet wurde.
Das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (nAIG) – so wird es zukünftig genannt – wird auf Bundesebene das Stufenmodell Integration verankern. Das Prinzip hinter dem Stufenmodell Integration: die an die ausländischen Personen gestellten Anforderungen in Bezug auf Integration sind umso höher, je mehr Rechte mit dem angestrebten Rechtsstatus verliehen werden.
Neu mit Integrationskriterien
Das nAIG kennt zukünftig Integrationskriterien (sinngemäss wie auch das Bürgerrechtsgesetz Integrationskriterien kennt), die von den zuständigen Behörden bei der Beurteilung der Integration der Gesuchstellenden zu berücksichtigen sind. Grob zusammengefasst prüfen sie dies anhand der Integrationskriterien jeweils dann, wenn es um die Erteilung und die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung (Art. 33 Abs. 3 nAIG; Art. 34 Abs. 2 nAIG; auch Art. 31 Abs. 1 let. a E-VZAE) oder den Widerruf der Niederlassungsbewilligung und den Ersatz durch eine Aufenthaltsbewilligung (sog. Rückstufung; Art. 63 Abs. 2 nAIG) geht. Diese Regelungen betreffen mehrheitlich Personen, die als Einzelpersonen nicht in die Schweiz einreisen können, das heisst keinen selbständigen Aufenthaltsanspruch haben (mehrheitlich sind dies Drittstaatsangehörige die via Familiennachzug in die Schweiz eingereist sind).
Präzisierung der sprachlichen Anforderungen:
A1, A2 oder doch B1?
Die vorgeschlagenen Änderungen der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) in der aktuellen Vernehmlassung präzisieren diese Integrationskriterien, unter anderem die Sprachkompetenzen, die durch den Bundesrat festgelegt werden (Art. 58a nAIG). Grundsätzlich sollen ausländische Personen die am Wohnort gesprochene Amtssprache (nicht Dialekt) auf dem verlangten Niveau nachweisen können. Denn die Sprachkompetenzen nehmen eine Schlüsselfunktion in der Integration ein. In zweisprachigen Kantonen wägen die Behörden im Einzelfall ab, um welche Sprache es sich handeln soll. Zwei Ausnahmen sieht das nAIG vor: bei Betreuungs- und Lehrpersonen sowie bei der vorzeitigen Erteilung der Niederlassungsbewilligung gehen die Vorgaben einen Schritt weiter. Sie verlangen Sprachkompetenzen in der am Arbeitsort gesprochenen Landessprache. Der erläuternde Bericht zur VZAE listet zudem die Umstände auf, bei denen die Spracherfordernisse als erfüllt gelten (so zum Beispiel, wenn eine der Landessprachen die Elternsprache ist).
Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen (GER)
Diese Übersicht der unterschiedlichen Spracherfordernisse verdeutlicht die Komplexität des Stufenmodells Integration: je nach rechtlicher Ausgangssituation werden andere Anforderungen an die Sprachkompetenzen einer ausländischen Person gestellt. Bereits bei der Einreise beginnt der Nachweis der Spracherfordernisse mit der Anmeldung zum Sprachkurs. Anschliessend muss die ausländische Person die mündlichen und schriftlichen Sprachkompetenzen «verbessern», um den Aufenthalt in der Schweiz zu «sichern». Die Ziellinie des Stufenmodells, der Schweizer Pass, verlangt dabei die höchsten mündlichen und schriftlichen Spracherfordernisse.
In Anbetracht dieser Komplexität sind die präzisen Angaben zu den sprachlichen Anforderungen nicht nur für die ausländischen Personen, sondern auch für die rechtsanwenden Behörden hilfreich. In der Umsetzung wird es zentral sein, der Situation von Personen, die diese Anforderungen nur schwer oder gar nicht erfüllen können, Rechnung zu tragen (Art. 77f E-VZAE). Denn nur so können diese Personen ihren rechtlichen Aufenthaltsstatus «verbessern» bis sie letztlich die Ziellinie, den Schweizer Pass, erreichen – und zwar ohne die verlangten mündlichen und schriftlichen Sprachkompetenzen zu erfüllen.
Stefanie Kurt
Assistenzprofessorin FH, Institut Soziale Arbeit, Siders