In den vergangenen Jahrzehnten haben die meisten europäischen Länder versucht, die Verantwortung für den Empfang von geflüchteten Menschen ihren Nachbarn zuzuweisen. Zwecks Rechtfertigung dessen, was sie als gerechte Verteilung dieser Verantwortung erachten, argumentieren einige mit ihrer Landesfläche und andere führen ihr Wohlstandsniveau oder ihre Arbeitslosen- bzw. Beschäftigungsquoten an.

Um bei dieser Diskussion mit empirischen Fakten argumentieren zu können, ermöglicht es dieser Indikator, die Anzahl der tatsächlich anwesenden Asylsuchenden (durch einen roten Halbkreis dargestellt) mit der gemäss bestimmten Kriterien «gerechten» Anzahl (durch einen grauen Halbkreis dargestellt) zu vergleichen.

Unter Berücksichtigung der Bevölkerung haben sich in der Schweiz 2023 «zu viele» Asylsuchende aufgehalten (30’100 statt 21’983). Dasselbe gilt für  Deutschland, Belgien, Spanien, Italien, Österreich, Island, Slowenien, Bulgarien sowie insbesondere für Zypern und Griechenland (64’225 statt 26’859). Portugal, Schweden, Dänemark, Norwegen, Frankreich und die meisten osteuropäischen EU-Länder haben hingegen nicht «genug» aufgenommen.

Berücksichtigt man hingegen das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz, so hätte sie deutlich mehr Asylsuchende empfangen müssen (51,600).

Der Krieg in der Ukraine und die Aktivierung der Richtlinie über den vorübergehenden Schutz haben diese Betrachtung noch komplexer gemacht. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, berücksichtigt der Indikator sowohl die in den einzelnen Ländern gestellten Asylanträge als auch den gewährten Schutzstatus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der vorübergehende Schutzstatus zu 99 % ukrainischen Personen gewährt wird, während andere Schutzsuchende einen Asylantrag stellen müssen.

Werden sowohl der Schutzstatus als auch die Asylanträge berücksichtigt, können sich die Anteile erheblich verändern: So hätte Italien gemessen an der Bevölkerungszahl im Jahr 2023 mehr Asyl- und Schutzsuchende empfangen müssen, während viele osteuropäische Länder «zu viele» Menschen aufgenommen haben.

Darüber hinaus ermöglicht es dieser Indikator, basierend auf der Landesfläche, der Arbeitslosenquote (umgekehrt proportional) oder einer Kombination der verschiedenen Kriterien eine gerechte Aufnahmequote zu eruieren.

Nimmt man die von der Stiftung Mercator in einem Bericht vorgeschlagenen Gewichtungen (Angenendt et al. 2013), das heisst je 40 % für das BIP und die Bevölkerung und 10 % für die Arbeitslosenquote und die Landesfläche, zeigt sich, dass in den letzten Jahren der Anteil von in der Schweiz lebenden Asylsuchenden relativ gerecht ausfiel. Mitten in der Syrienkrise im Jahr 2016 hingegen hätte die Schweiz – insbesondere verglichen mit Deutschland – mehr Asylanträge entgegennehmen sollen.

Wie viele Asylsuchende gibt es in der Schweiz?

Definition und weiterführende Informationen:

Asylsuchende: Ein*e Asylsuchende*r ist eine Person, die während des Referenzzeitraums einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat oder als Familienangehörige*r in einen solchen Antrag einbezogen worden ist.

Begünstigte des vorläufigen Schutzes: Der Status S für schutzbedürftige Personen in der Schweiz ist weitgehend vergleichbar mit dem vorläufigen Schutz in der EU und wird in den Statistiken entsprechend ausgewiesen.

Quellen:

– Angenendt, Steffen, Marcus Engler und Jan Schneider (2013). Europäische Flüchtlingspolitik. Wege zu einer fairen Lastenteilung. Berlin: Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) Mercator.
– Piguet, Etienne (2014). «Ewropa ta ‘solidarjetà!» ? Pour une répartition équitable des responsabilités. Terra Cognita: Revue suisse de l’intégration et de la migration 25, 46-50.
– Piguet, Etienne (2019). Tool for a More Equitable Distribution of Refugees in Europe. Neuchâtel: nccr – on the move blog.
– Piguet, Etienne (2021). Comment partager la responsabilité de l’asile en Europe ? Asyl, 2021/01: 17–21.
– Piguet, Etienne (2023). Behind the EU Pact on Asylum: A Geography of Protection. Neuchâtel: nccr – on the move blog.
– EUROSTAT: Asylum applicants / Population / GDP / Unemployment (all countries except Switzerland)
– OECD: Unemployment rate (only Switzerland)
– World Bank: Surface area.

Hinweis zum Verfahren:Um eine Karte zu generieren, wählen Sie im Reiter «Symbolic» ein bestimmtes Jahr und weisen Sie einem oder mehreren Kriterien eine Gewichtung von maximal 100 % zu. Wählt man beispielsweise das Jahr 2018 und das Kriterium der Landesfläche, so wird in der generierten Karte mit dem roten Halbkreis die tatsächliche Anzahl der in einem Land empfangenen Asylsuchenden angezeigt, während mit dem grauen Halbkreis die Anzahl dargestellt wird, die das Land angesichts seiner Grösse im Verhältnis zur gesamten territorialen Ausdehnung der EU hätte empfangen müssen. Frankreich (11 % Anteil am gesamten Territorium der EU) hätte basierend auf diesem Modell 73’370 Asylsuchende aufnehmen müssen (11 % der Gesamtanzahl), nahm 2018 jedoch 119’190 Personen auf. Nimmt man also ausschliesslich die Landesfläche als Basis für den Verteilerschlüssel, hat Frankreich «zu viele» Asylanträge entgegengenommen. Über die Wahl anderer Gewichtungen lässt sich die Auswirkung der Faktoren Bevölkerung, Arbeitslosenquote, BIP und Landesfläche unterschiedlich kombinieren.

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Letzte Aktualisierung: 11. Dezember 2024