Die Schweizer Einwanderungspolitik aus einer Geschlechter-Perspektive
Bestimmte Vorstellungen von ‘Eigenem’ und ‘Fremdem’ waren schon immer Teil der Schweizer Einwanderungspolitik. Repräsentationen von Migrant*innen sind stark vom Geschlecht geprägt und werden von verschiedenen Akteur*innen mobilisiert, um bestimmte politische Positionen zu untermauern. Wann und unter welchen Umständen änderten sich diese Repräsentationen? Und wie wurde und wird auf die Kategorie Geschlecht Bezug genommen, um zwischen Migrant*innen und Schweizer Bürger*innen zu unterscheiden?
Vergeschlechtlichte Repräsentationen nationaler Identität ändern sich in der Schweiz je nach zeitgeschichtlichem Kontext und je nachdem, welche Akteur*innen diese für ihre jeweiligen einwanderungs- und integrationspolitschen Ziele mobilisieren. Diese Änderungen kristallisierten sich an vier historischen Wendepunkten heraus, die dieser Beitrag genauer erläutert.
‘Klassische’ Gender-Repräsentationen der frühen Einwanderungsgesetzgebung
Zwischen 1880 und 1931 werden in einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs grossräumige Infrastrukturprojekte angeschoben, die Arbeitsmigrant*innen aus Italien, Deutschland und Österreich anziehen. In diesem Zusammenhang wird die Einwanderungskontrolle von der lokalen auf die nationale Ebene verschoben und 1931 das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) verabschiedet.
Geprägt von einer gesellschaftlich tief verwurzelten ‚klassisch-konservativen‘ Auffassung von Geschlechterrollen, formalisiert das ANAG die Grenze zwischen jenen, die Teil der Schweizer Nation sind und jenen, die als Ausländer*innen nicht dazugehören. Das ANAG definiert ‚den Ausländer‘ als männlichen, wirtschaftlichen Akteur und Ernährer, während es Ehefrauen und Kinder als Abhängige ohne eigenständige Ansprüche darstellt. In Ausführungsbestimmungen werden neben ‚männlichen‘ Berufen allerdings auch traditionell weibliche Berufe wie Haushaltsangestellte oder Kellnerin aufgeführt.
Damit bestätigt das ANAG einerseits Geschlecht als wichtiges Prinzip sozialer Organisation und weist Männer und Frauen unterschiedlichen Sektionen des Schweizer Arbeitsmarkts zu. Andererseits trägt es der damals primären Sorge Rechnung, dass Ausländer*innen zur wirtschaftlichen Last werden könnten.
Doppelbödige Repräsentationen von Gastarbeiter*innen während der Nachkriegszeit
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stellt einen zweiten Wendepunkt dar. Nationale Wirtschaft und Wohlstand wachsen erheblich, wodurch ein erneuter Bedarf an migrantischer Arbeitskraft entsteht. In bilateralen Gastarbeiter-Abkommen mit Nachbarländern implementiert die Schweizer Regierung das sogenannte Rotationsprinzip mit einer zeitlichen Befristung des Aufenthalts und ‚expliziter Nicht-Integration‘ (Niederberger 2004:41).
Gastarbeiter*innen werden strikt nach Geschlechtern getrennt angeworben und während ihres Aufenthalts in der Schweiz in separaten Sammelquartieren untergebracht. Obwohl sowohl in der Öffentlichkeit wie auch in der Forschung die Vorstellung vom männlichen Gastarbeiter dominiert, ist der Anteil von Frauen aufgrund des Bedarfs an Haushaltshilfen und Arbeitskräften in der Textil- und Lebensmittelindustrie beträchtlich.
Diese Unsichtbarkeit von Arbeitsmigrantinnen endet jedoch in den frühen 1960er Jahren, als Forderungen nach Familiennachzug laut werden. Dass sich Gastarbeiterfamilien in der Schweiz niederlassen könnten, verleiht der Präsenz von ‘Fremden‘ etwas Unumkehrbares (Niederberger, 2004: 48). Zudem weckt sie die Befürchtung, dass insbesondere ausländische Frauen in ihrer Rolle als abhängige Hüterinnen von Haus und Kindern dem Schweizer Wohlfahrtsstaat zur Last werden könnten. Die Repräsentation der Migrantin nimmt einen doppelbödigen Charakter an: Aus etwas Unsichtbarem wird eine Bedrohung. Und im Gegensatz zum Ideal der Schweizer (Haus-) Frau wird die nicht arbeitende Migrantin nun als Problem wahrgenommen.
Die Kulturalisierung von ‘Überfremdung’ während der 1960er und 1970er-Jahre
Als der Begriff der Überfremdung von Populisten in den 1960er-Jahren ins Zentrum politischer Auseinandersetzungen gerückt wird, kommt es zum dritten Wendepunkt. Populistische Vorstösse gegen Überfremdung bedienen sich negativer, ethnisierter und vergeschlechtlichter Darstellungen kultureller Unterschiede. Das Geschlecht erhält dadurch eine neue, kulturell untersetzte Qualität, die die Grenzziehung zwischen genuin Schweizerischem und Fremdem beeinflusst.
In postkolonialen Repräsentationen des männlichen Anderen werden beispielsweise Italiener als ‘braune Söhne des Südens’, notorische Schürzenjäger (Maiolino, 2010) und damit als eine Bedrohung für Schweizerinnen stigmatisiert. Gleichzeitig wird der rapide Anstieg des Ausländeranteils Migrant*innen zugeschrieben, da sie aufgrund kulturell bedingter Achtlosigkeit mehr Kinder hätten als Schweizer Frauen.
Ethnisierung von Geschlechter(un)gleichheit: Zuwanderung und Integration von den 1990ern bis heute
In den 1990er Jahren lanciert der Bundesrat eine Totalrevision des ANAG, 2002 wird das Abkommen über die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und den EU/EFTA Mitgliedstaaten ratifiziert und 2006 tritt das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer AuG in Kraft.
In dieser Phase wird der Begriff der Überfremdung aufgegeben. Zugleich wird aber auch die Einwanderung aus Nicht-EU-Ländern stark eingeschränkt und integrationspolitischen Massnahmen unterworfen. Diese implizite Gleichsetzung von kultureller und geographischer Nähe, bzw. Ferne verfestigt postkoloniale Unterscheidungen zwischen Fremdheit, bzw. Ähnlichkeit.
Der Begriff Integration erhält dabei eine zunehmende und wiederum vergeschlechtlichte Bedeutung. Die Rolle von Frauen im Privat- und Erwerbsleben dient beispielsweise als Indikator dafür, ob eine Person als gut oder weniger gut integriert wahrgenommen wird. Zugleich richten sich Massnahmen zur Verhinderung von Straftaten meist an junge, männliche und oft muslimische Migranten.
Während sich die Behörden auf gender-spezifische Repräsentationen von Migrant*innen stützen, um die Notwendigkeit besserer Integration zu unterstreichen, mobilisieren rechtsgerichtete Akteure solche Repräsentationen, um die Präsenz ‚unerwünschter Anderer‘ zu problematisieren und entsprechende Restriktionen einzufordern. In den Abstimmungen über das Minarett-Verbot 2009 oder über die Ausweisung krimineller Ausländer 2010 verbildlichen jeweils die verschleierte Muslima bzw. der männliche Straftäter aus dem Ausland die ‚Problematik des Fremden‘.
Ein zentraler Punkt dieser Grenzziehungsprozesse ist die Ethnisierung und Kulturalisierung von weiblicher Unterordnung und männlicher Dominanz. Geschlechtsspezifische Integrationsmassnahmen fördern nicht nur die Sichtbarkeit von Migrant*innen, sondern stellen diese auch als rückschrittlich dar. Zugleich wird die systematische Benachteiligung von Frauen in der Schweiz strikt ausgeblendet – sowohl in öffentlichen Debatten als auch in politischen Massnahmen.
Gender als zentrale Differenzkategorie für „das Andere“ in der Schweiz
Nationale Zugehörigkeit ist weder ein eindeutiges Konzept noch ein natürlicher Zustand, sondern wird je nach politischen Interessen und Zielsetzungen konstituiert, aufrechterhalten und verändert. Geschlecht prägt seit Beginn der Einwanderungsgeschichte die Repräsentation von Migrant*innen in der Schweiz und wirkt – kombiniert mit anderen Kategorien wie Klasse, Ethnizität und Religion – als zentrale Differenzkategorie für Grenzziehungen zwischen ‚uns‘ und ‚den anderen‘.
Dr. Carolin Fischer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Laboratoire d’études des processus sociaux (MAPS) der Universität Neuchâtel und am nccr – on the move im Projekt “Gender as a Boundary Marker in Migration, Citizenship and Belonging“. Ihre Forschung konzentriert sich auf Fragen der Zugehörigkeit und Formen bürgerschaftlichen und politischen Engagements im Kontext von Migration und Mobilität. Derzeit leitet sie das SNIS-finanzierte Projekt „Engendering migration, development and belonging: The experiences of recently arrived Afghans in Europe“.
Weiterführende Literatur:
– Fischer, C. and Dahinden, J. (2017). ‘Gender representations in politics of belonging: An analysis of Swiss immigration regulation from the 19th century until today’, Ethnicities 17(4), 445–468.
– Maiolino, A. (2012). ‘Die «Tschinggen» und die Schwarzenbach-Initiative. Von der Politik der Marginalisierten zur Mediterranisierung der Schweiz’, Terra Cognita 21, 20–22.
– Niederberger, J. M. (2004). Ausgrenzen, Assimilieren, Integrieren : die Entwicklung einer schweizerischen Integrationspolitik. Zürich: Seismo.
– Purtschert, P., Falk, F. and Lüthi, B. (2016). ‘Switzerland and “Colonialism without Colonies”’, Interventions 18(2), 286–302.