Asymmetrische Ausgangslage bei Beendigung des Assoziierungsabkommens
Eine Ablehnung der Anpassung an die EU-Waffenrichtlinie würde den Schengen-Raum auf 24 Staaten reduzieren und die Schweiz und Liechtenstein erneut zu einer Insel mitten in Europa machen. Die Beendigung der Schengen/Dublin Zusammenarbeit hätte für die Schweiz weitgehende negative Folgen in den Bereichen Grenzverkehr, Sicherheit und Asylwesen. Denn vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen ist nicht davon auszugehen, dass die EU der Schweiz eine Ausnahmeregelung gewähren würde.
Zwischen dem 1. Dezember 1997 und dem 11. Dezember 2008 war die Schweiz, mit Ausnahme von Liechtenstein, ausschliesslich von Schengen-Staaten umgeben. Mit Liechtenstein verbindet die Schweiz seit 1923 eine Zollunion mit dem damit verbundenen Grundsatz offener Grenzen. Die Stellung der Schweiz als «Schengen-Insel» hatte gravierende Folgen für den Grenzverkehr, aber auch für die Sicherheit, insbesondere im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit. Dazu kamen die wirtschaftlichen Verluste für den Tourismus. Zudem mussten in der Schweiz ansässige Drittstaatsangehörige bestimmter Nationalitäten sogar für kurze Ausflüge über die Grenze ein Schengen-Visum beantragen. Aufgrund dieser zahlreichen Nachteile hat sich die Schweiz schon früh um eine Beteiligung an Schengen bemüht.
Erfolglose Versuche einer Anbindung an den Schengen-Raum vor 2004
Als sich die Schweiz erstmals um die Teilnahme an Schengen/Dublin bemühte, zählte der Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen erst neun Länder. Die ersten Annährungen wurden im Jahre 1998 von den Schengen-Ländern abgelehnt, da ein Sonderregime für die Schweiz dem Grundgedanken der Schengener-Zusammenarbeit widerspräche. Ein «Schengen à la carte» war aus Sicht der Mitgliedstaaten ausgeschlossen.
Die EU war sich schon damals bewusst, dass die Assoziierung primär im Interesse der Schweiz lag und nutzte die Gelegenheit, um eigene Prioritäten durchzusetzen. Die Mitgliedstaaten verknüpften die Beteiligung am Schengen-Raum mit der Ausdehnung des 2002 eingeführten freien Personenverkehrs. 2003 schilderte der Bundesrat die Situation wie folgt: „Eine Zusammenarbeit mit der EU im Bereich von Schengen hätte nicht nur, dank dem Einheitsvisum von Schengen, positive Folgen für den Tourismus und den Geschäftsreiseverkehr (…) sondern sie würde auch die Reziprozität im Bereich der Freizügigkeit innerhalb des Schengen-Raumes für Drittstaatsangehörige im Besitz eines Aufenthaltstitels garantieren.“ Im Rahmen der Verhandlungen zu den 2004 abgeschlossenen Bilateralen II koppelte die EU die Beteiligung der Schweiz an Schengen/Dublin zusätzlich an die in ihrem Interesse liegende Zinsbesteuerung und Betrugsbekämpfung.
Schengen beruht auf dem freien Personenverkehr
Heute umfasst der Schengen-Raum 26 Mitgliedstaaten. Je mehr Staaten, desto grösser die Vorteile für die teilnehmenden Staaten und desto höher die Kosten des Abseitsstehens. Aus diesem Grund erwähnt die EU die Teilnahme der Schweiz an Schengen oft in anderen Verhandlungen, so etwa bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Sie hat sich ausdrücklich gegen eine Begrenzung der Freizügigkeit in Form von Kontingenten ausgesprochen und dabei mit einer möglichen Kündigung des Schengen Assoziierungsabkommens gedroht.
Die Mitgliedstaaten unterzeichneten das Schengener Abkommen, um einen «Binnenmarkt ohne Binnengrenzen» mit ungehindertem Personenverkehr zu schaffen. Zur Kompensation des dadurch entstandenen «Sicherheitsdefizites», beschlossen sie Massnahmen zur Sicherung der Aussengrenzen und zur verstärkten Zusammenarbeit in polizeilichen und justiziellen Angelegenheiten. Die EU vertritt deshalb die Auffassung, dass die Assoziierung mit Schengen/Dublin nur bei freiem Personenverkehr möglich ist. Nicht-EU-Staaten welche sich an der Schengen/Dublin-Zusammenarbeit beteiligen (neben der Schweiz sind dies Island und Norwegen), müssen den EU/EFTA-Staatsangehörigen freien Personenverkehr gewährleisten. Die Personenfreizügigkeit erlaubt EU/EFTA-Staatsangehörigen und ihren Familienangehörigen aus Drittstaaten, sich in anderen EU/EFTA-Staaten niederzulassen und dort (fast) die gleiche Rechte wie die Einheimischen in Anspruch zu nehmen.
Allerdings können Personenfreizügigkeit und Grenzkontrollen durchaus getrennt funktionieren. Irland und das Vereinigte Königreich gehören dem Schengen-Raum nicht an, setzen jedoch die Personenfreizügigkeit nach wie vor um. Beide Länder können durch eine opt-in Möglichkeit an ausgewählten Teilen des Schengen-Rechts teilnehmen, falls die anderen EU-Länder einwilligen. Diese Sonderstellung war möglich, weil beide Staaten der Europäischen Gemeinschaft beitraten, bevor der Schengen-Besitzstand in das EU-Recht überführt wurde. Die Briten sind sich der Nachteile einer eigenständigen Visumspolitik bewusst, weshalb sie z.B. die Visavergabe an chinesische Tourist*innen an von Belgien ausgestellte Schengen-Visa knüpfen. Auch in den neuen EU-Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien sowie in Zypern funktioniert die Freizügigkeit vorläufig ohne Schengen. Die umgekehrte Situation, Schengen ohne Freizügigkeit, bestand vorübergehend als sich die Schweiz 2012 auf die Ventilklausel berief und die Freizügigkeit begrenzte.
Weitere Zugeständnisse an die Schweiz unwahrscheinlich
Betrachtet man die Logik der Schengen-Zusammenarbeit, wird ersichtlich, dass die EU-Mitgliedstaaten keine Teilnahme à la carte wünschen. Für sie ist Schengen ein gemeinsamer Raum ohne Grenzkontrollen. Die Schweiz profitiert aus Sicht der Schengen-Staaten schon jetzt von bedeutenden Zugeständnissen. Im Grundsatz soll das Schengener Abkommen nämlich die Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedländern eliminieren, damit die betroffenen Bürger*innen gar nicht merken, dass sie eine „Binnengrenze“ überquert haben – sogar Tempobegrenzungen im Grenzbereich sind grundsätzlich verboten. Die Schweiz ist das einzige Land, welches eine Form der Grenzüberwachung beibehalten hat. Da keine Zollunion zwischen der EU und der Schweiz besteht, dürfen Waren weiterhin kontrolliert werden. Nebenbei werden jedoch auch die Personen kontrolliert, welche diese Waren transportieren. Die Hoffnung auf weitere Zugeständnisse der EU an die Schweiz bei der Umsetzung des Schengen-Abkommens im Bereich des Waffenrechts scheint aus diesen Gründen wenig wahrscheinlich.
Marek Wieruszewski ist Forscher an der Universität Bern und Doctoral Student im Projekt des nccr – on the move From “Traditional” to “New” Migration: Challenges to the International Legal Migration Regime.