Im Schnellzugstempo durchs neue Schweizer Asylverfahren
Seit März 2019 ist das neue Schweizer Asylverfahren in Kraft. Ziel dieser Gesetzesnovelle war es, die Asylverfahren zu beschleunigen und den Rechtsschutz durch unentgeltliche Rechtsvertretung sicher zu stellen. Wie wurde dies in Realität umgesetzt? Wie fühlt es sich für eine geflüchtete Person an, dieses Eilverfahren zu durchlaufen? Und wie hat sich die Arbeit als Rechtsvertretung verändert?
Die vom Stimmvolk im Jahre 2016 angenommene Revision des Asylgesetzes hatte zum Hauptziel, die überlangen Verfahren zu beschleunigen – was auch dringend notwendig war: Kaum ein Asylverfahren wurde innert zwei Jahren abgeschlossen, viele Menschen warteten drei oder mehr Jahre auf ihren Asylentscheid. Diese Zeit des Wartens ist angesichts des faktischen Arbeitsverbots eine Zeit des Nichtstuns, und Integrationsangebote wie Sprachkurse sind in dieser Periode aufgrund des ungesicherten Aufenthaltsrechts ebenfalls kaum zugänglich. Die lange Wartezeit ist für die Betroffenen zermürbend und psychisch eine zusätzliche Belastung zum bereits Erlebten – weshalb eine Beschleunigung der Verfahren dringend notwendig war.
Beschleunigung in der Praxis: Eilverfahren (fast) ohne Gewinner
Die Umsetzung der Beschleunigung allerdings erfolgte auf radikale Art und Weise: Während das Verfahren bisher mehrere Jahre dauerte, wird es heute innert wenigen Wochen durchgeboxt. Dass dieser Tempoanstieg für alle Involvierten kaum zu bewältigen ist, dürfte nicht weiter erstaunen:
- Die Mitarbeitenden des Staatssekretariats für Migration (SEM), welches für die Durchführung der Asylverfahren zuständig ist, sind inhaltlich und in Bezug auf die Anzahl der zu bewältigenden Asylverfahren überfordert. Dies lässt sich aus der sinkenden Qualität der Asylentscheide bzw. der steigenden Erfolgsquote bei Beschwerden schliessen.
- Die Asylsuchenden verstehen nicht, wie ihnen geschieht – kaum wähnen sie sich nach der beschwerlichen Reise endlich in (zumindest vorübergehender) Sicherheit, folgt ein hoch getaktetes Programm an Behördenterminen. Zeit, um anzukommen, Dokumente und Beweise zu beschaffen oder ein Arztzeugnis einzuholen, bleibt so kaum vor Abschluss des Verfahrens. Besonders davon betroffen sind ohnehin bereits vulnerable, gesundheitlich beeinträchtigte Asylsuchende.
- Die vom Staat mandatierte Rechtsvertretung – im neuen Verfahren wird (fast) jeder asylsuchenden Person kostenlos eine Rechtsvertretung zugeteilt – ist einem unvergleichlichen Dauerstress ausgesetzt. Fristen von 5 Arbeitstagen für Beschwerden oder von 24h für Stellungnahmen, wie sie nun im Asylrecht verankert sind, suchen (aus gutem Grund!) ihresgleichen in der schweizerischen Rechtsordnung.
Selbstverständlich ist es für diejenigen asylsuchenden Personen, welche einen positiven Entscheid erhalten, erfreulich, dass sie innert nützlicher Frist Gewissheit über ihre Zukunft haben und sich so rascher integrieren können. Faktisch ist aber zu beachten, dass diese bedauerlicherweise nur einen kleinen Teil der Betroffenen ausmachen – und viele potenziell positive Fälle in das erweiterte Verfahren verschoben werden, in dem die Wartezeit dann doch wieder länger ist. Während eine massvolle Beschleunigung der Asylverfahren durchaus sinnvoll gewesen wäre, sind die gegenwärtigen Eilverfahren für alle Involvierten mit übermässigem und unnötigem Stress verbunden.
Die amtliche Rechtsvertretung im Akkord
Akzentuiert wird die Problematik der überschnellen Verfahren durch die Art und Weise, wie die Rechtsvertretung mandatiert wird. Die Rechtsdienstleistenden erhalten vom Bund eine Fallpauschale – konkret also einen vordefinierten Betrag pro Fall, unabhängig davon, wie komplex, aussichtsreich oder arbeitsintensiv dieser ist. Demzufolge wird der Zeitdruck auf die Mitarbeitenden des Rechtsschutzes weiter erhöht: Je schneller ein Fall abgeschlossen ist, je weniger Zeit dafür aufgewendet wird, desto profitabler ist dieser. Diese im Anwaltsberuf unübliche Art der finanziellen Abgeltung erhöht den Druck auf die Mitarbeitenden des Rechtsschutzes weiter und setzt Anreize, welche mit einer sorgfältigen Mandatsführung nicht zu vereinbaren sind.
Willkürliches Untergraben des Rechtsschutzinteresses
All dies wäre hinnehmbar, wenn mit dem mandatierten Rechtsschutz zumindest das Recht auf Beschwerde garantiert wäre. Dem ist aber nicht so: Die mandatierte Rechtsvertretung kann – bzw. muss! – ihr Mandat niederlegen, wenn sie einen Fall als aussichtslos einstuft. Diese Einschätzung liegt einzig und allein im Ermessen der Rechtsvertretung – ein Rechtsmittel dagegen fehlt gänzlich. Obwohl mit dem beschleunigten Asylverfahren der garantierte Rechtsschutz vom SEM als Maxime eingeführt worden ist, wird er hier eigentlich mit Füssen getreten.
«Amtsniederlegung zur Unzeit» – ein anwaltsrechtliches Grundprinzip wird ausgeschaltet
Denn konkret legt mit dieser Ausgangslage die staatlich mandatierte Rechtsvertretung regelmässig genau in jenem Zeitpunkt das Mandat nieder, in welchem die schutzsuchende Person diese am meisten benötigen würde: Wenige Tage vor Ablauf der Beschwerdefrist (welche lediglich 5 bzw. 7 Arbeitstage beträgt). Während sich jede freischaffende Anwältin in einer solchen Situation der Amtsniederlegung zur Unzeit schuldig machen würde, entspricht dies dem gesetzlich vorgesehenen Usus in den Bundesasylzentren. Es ist Asylsuchenden aufgrund der fehlenden Kenntnisse der administrativen Abläufe, der Abgeschiedenheit der Asylunterkünfte und der Sprachbarrieren demnach kaum möglich, nach der Niederlegung des Mandates durch die staatlich mandatierte Rechtsvertretung in wenigen Tagen eine Alternative zur Wahrung ihrer Interessen zu finden.
Eine solche alternative Rechtsvertretung müsste zudem in der Lage sein, innert kürzester Frist eine Beschwerde gegen einen entsprechenden Entscheid zu verfassen. Dies ist aufgrund der üblichen Geschäftslast solcher Stellen keinesfalls garantiert. Der Druck auf unabhängige, oft spendenfinanzierte Rechtsberatungsstellen ist folglich seit der Einführung des neuen Asylverfahrens enorm gestiegen, auch wenn das Ziel der Gesetzesrevision war, die Rechtsvertretung durch staatlichen Rechtsschutz sicher zu stellen.
Entschleunigte Verfahren als Lösung
Wenngleich die Revision unterstützenswerte Absichten verfolgte, ist die Umsetzung in der Praxis als sehr kritisch zu beurteilen. Der enorme Zeit- und Kostendruck geht auf Kosten aller Involvierten. Es wäre wünschenswert, einen Gang zurück zu schalten und die Asylverfahren künftig in einem vernünftigen Tempo durchzuführen – dies käme den Behörden, der Rechtsvertretung und nicht zuletzt auch den asylsuchenden Menschen selbst entgegen.
Lea Hungerbühler ist Rechtsanwältin, LL.M. (Harvard) und Präsidentin des Vereins AsyLex, der Asylsuchende in ihrem Verfahren mit unentgeltlicher rechtlicher Beratung unterstützt.