Integriert ist, wer…

26.02.2018 , in ((Politica, Sans-Papiers)) , ((No commenti))

… die öffentliche Sicherheit und Ordnung beachtet, wer die Werte der Bundesverfassung respektiert, wer die erforderlichen Sprachkompetenzen nachweist und wer am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung teilnimmt. Bald sind diese Integrationskriterien von den zuständigen Behörden bei der Beurteilung der Integration zu berücksichtigen: auch bei Härtefallgesuchen von «Sans-Papiers»?

Genau: Zukünftig verankert in Art. 58a des Bundesgesetzes über Ausländer*innen und Integration (AIG – noch nicht in Kraft), nehmen diese Integrationskriterien auch eine wichtige Rolle in der Frage der Härtefallregelung von Sans-Papiers ein; wenn auch nicht nur.

Zwei unterschiedliche Härtefallmöglichkeiten

Aus rechtlicher Sicht sind zwei Härtefallregelungen zu unterscheiden. Bei der ersten Möglichkeit können die Kantone für Asylsuchende, die sich seit mindestens fünf Jahren in der Schweiz aufhalten, beim Staatssekretariat für Migration eine Aufenthaltsbewilligung beantragen. Vorausgesetzt, die betroffene Person stellt wegen fortgeschrittener Integration einen schwerwiegenden Härtefall dar. Die Möglichkeit der Härtefallregelung findet unabhängig vom Status des Asylverfahrens Anwendung – daher auch bei einem rechtskräftig abgelehnten Asylgesuch (Art. 14 Abs. 2 AsylG). Im Jahr 2016 sind 121 solcher Härtefallgesuche vom Staatssekretariat für Migration gutgeheissen und 14 abgelehnt worden.

Die zweite Möglichkeit der Härtefallregelung betrifft Personen ohne Anwesenheitsregelung, sogenannte Sans-Papiers. Diese Personen halten sich rechtswidrig und ohne Aufenthaltsstatus in der Schweiz auf. Gemäss aktuell geltendem Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (Art. 30 Abs. 1 let. b AuG) kann ihnen vom Staatssekretariat für Migration eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden, wenn ein schwerwiegender persönlicher Härtefall vorliegt. Im Jahr 2016 sind 410 solcher Härtefallgesuche gutgeheissen und vier abgelehnt worden. Die relativ hohe Zahl positiver Entscheide erklärt sich mit der vom Kanton Genf initiierten Operation Papyrus.

Die Prüfung der Integration

In beiden Härtefallregelungen wird die Integration der betroffenen Person geprüft. Vorliegend interessiert insbesondere die Anwendung des oben erwähnten Art. 30 Abs. 1 let. b AuG im Ausländergesetz, also der Härtefallregelung von ausländischen Personen ohne Aufenthaltsregelung. Aktuell präzisiert Art. 31 Abs. 1 let. a- g der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) die Anwendung. Dieser Artikel listet auf was die Behörden bei der Beurteilung eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls zu berücksichtigen haben:

  • Die Integration der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers,
  • die Respektierung der Rechtsordnung durch die Gesuchstellerin oder den Gesuchsteller,
  • die Familienverhältnisse, insbesondere der Zeitpunkt der Einschulung und die Dauer des Schulbesuchs der Kinder,
  • die finanziellen Verhältnisse sowie der Wille zur Teilhabe am Wirtschaftsleben und zum Erwerb von Bildung,
  • die Dauer der Anwesenheit in der Schweiz,
  • der Gesundheitszustand,
  • und die Möglichkeiten für eine Wiedereingliederung im Herkunftsstaat.

Wichtig zu wissen: Die VZAE wird aktuell angepasst

Aufgrund der Teilrevision des Ausländergesetzes (zukünftig Ausländer*innen- und Integrationsgesetz (AIG), angenommen am 16. Dezember 2016) ist die VZAE – ebenso wie die Verordnung über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern (VIntA) – aktuell in der Vernehmlassung. Dies bedeutet, dass die VZAE an das neue AIG angepasst wird, was unter anderem auch die Konkretisierung der eingangs aufgelisteten Integrationskriterien beinhaltet. Der erläuternde Bericht zu den Änderungen in der VZAE sieht vor, dass Ausländerinnen und Ausländer die Integrationskriterien gemäss Art. 58a nAIG erfüllen müssen, damit eine Härtefallregelung und somit die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zur Anwendung kommen kann. Gleichzeitig präzisieren weitere Bestimmungen (Art. 77a bis 77f E-VZAE) diese Integrationskriterien. Die Bestimmungen gelten auch für das Härtefallgesuch einer Person ohne Aufenthaltsregelung.

Vertiefte Integrationsprüfung für Sans-Papiers?

Die Motion für eine kohärente Gesetzgebung zu Sans-Papiers verlangt nun unter anderem eine Konkretisierung der Härtefallkriterien gemäss dem Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG). Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats erläutert, dass der Fokus dabei auf langjährige anwesende, sprich «integrierte» Sans-Papiers, besondere Familien mit Kindern in Ausbildung, gelegt wird. Die Konkretisierung der Integrationskriterien soll sich dabei an «erwerbstätig, nicht sozialhilfebedürftig und nicht straffällig» orientieren.

Diese Forderung ist insofern interessant, dass die Integrationskriterien aufgrund der aktuellen Änderungen im AuG und den aktuellen Änderungen in der VZAE gerade konkretisiert werden. Der Gesetzgeber hat bereits durch die Teilrevision des AuG und die Einführung von Integrationskriterien, die von der Motion verlangte Kohärenz bei der Integrationsprüfung umgesetzt. Abzuwarten bleibt, ob die Kommission den Interpretationsspielraum der Behörden stärker einengen und somit eine verschärfte, respektive vertiefte Prüfung der Integration von Personen ohne Aufenthaltsbewilligung fordert.

Stefanie Kurt
Assistenzprofessorin FH, Institut Soziale Arbeit, Siders

 

Sans-Papiers in der Schweiz
Die Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats reichte am 26. Januar 2018 eine Motion ein, die eine kohärente Gesetzgebung zu «Sans-Papiers» fordert. Darin fordert sie unter anderen eine Zugangseinschränkung zu Sozialversicherungen, eine staatlich finanzierte Anlaufstelle im Krankheitsfall, verschärfte Strafverfolgung von Arbeitgeber*innen, Arbeitsvermittler*innen und Vermieter*innen von «Sans-Papiers», einen erleichterten Datenaustausch zwischen staatlichen Stellen sowie die Konkretisierung der Härtefallkriterien. Die Blog-Serie greift gewisse Elemente der Motion auf und diskutiert diese im Kontext von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Motion wurde am 18. Mai 2018 zurückgezogen.

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