Internationale Mobilität im Alter: Luxus oder Flucht aus der Prekarität?

22.02.2024 , in ((Transnational Ageing)) , ((No Comments))

Auslandschweizer*innen stehen im Fokus politischer und medialer Debatten rund um die Volksinitiative «Für ein besseres Leben im Alter», besser bekannt als Initiative für eine 13. AHV-Rente. Die Rede ist von Luxusrenten und massiver Bevorteilung von Rentner*innen im Ausland. Die Gegenrede verweist auf die zunehmenden finanziellen Schwierigkeiten von Rentner*innen und die Auswanderung als Ausweg daraus. Zeit für eine wissenschaftliche Annäherung an die Thematik.

Die Lebenssituationen von Menschen sind divers, kompliziert und verändern sich stetig. Mit dem Übergang vom Arbeitsleben in den Alltag als Rentner*in kommt eine zusätzliche und einschneidende Veränderung dazu (Bolzman et al., 2021; Bolzman et al., 2017): Ein reduziertes Einkommen und mehr Zeit für Familie, Freunde und Freizeit. Personen, die auf das Rentenalter zugehen oder das Rentenalter kürzlich erreicht haben, machen sich Gedanken über die Gestaltung und Nutzung dieses neuen Lebensabschnittes. Die finanziellen Ressourcen spielen in diesen Überlegungen eine zentrale Rolle. Sie bestimmen, was in diesen Jahren möglich oder unmöglich ist.

Finanzielle Erwägungen als Hauptgrund für internationale Mobilität

Um den Lebensstandard zu erhalten, oder überhaupt mit dem Renteneinkommen über die Runden zu kommen, braucht es Anpassungen in der Lebenssituation. Diese Prämisse war zentraler Bestandteil der qualitativen Interviews, die ich im Rahmen meines Dissertationsprojekts zum transnationalen Altern durchführte (Tomás, 2023). Insgesamt 47 Rentner*innen – der Grossteil Auslandschweizer*innen – teilten ihre Erfahrungen mit mir und erzählten, wieso sie die Schweiz verliessen, um ihre Pensionierung in Spanien zu verbringen.

In meiner Dissertation komme ich zum Schluss, dass finanzielle Erwägungen als Hauptgrund für die internationale Mobilität von Rentner*innen gewertet werden kann. Wer mit seinem Renteneinkommen grobe Einschnitte in der Lebenssituation hinnehmen muss und geringe Aussichten auf die Erfüllung persönlicher Bedürfnisse und Wünsche hat, erachtet den Gang ins Ausland als valable – oder gar zwangsläufige – Option.

Internationale Mobilität als Strategie

Mobilität im Alter als verzweifelte Reaktion auf eine verpasste Finanzplanung zu zeichnen, greift dabei zu kurz. Personen, denen ein geringes Renteneinkommen zur Verfügung steht, sind sich oft schon vor der Pensionierung über ihre finanzielle Lage bewusst: Teilzeit-Pensen, Selbstständigkeit, Aufenthalte im Ausland und familiäre Konstellationen beeinflussen das verfügbare Einkommen für die Pensionierung massgeblich (Repetti & Schilliger, 2021). Dieses Bewusstsein veranlasst (zukünftige) Rentner*innen, sich früh über ihre Möglichkeiten Gedanken zu machen.

Es gibt verschiedene Ansätze, prekäre finanzielle Verhältnisse während der Rente zu verbessern. Dazu gehören das Arbeiten über das ordentliche Rentenalter hinaus und die finanzielle Unterstützung von Familie oder Staat. Diese Strategien sind jedoch nicht immer möglich oder gewünscht (Gabriel et al., 2023).

Eine alternative Strategie, die in den qualitativen Interviews zum Ausdruck kam, bezieht sich auf die internationale Mobilität. In anderen Worten: Das Verlassen der Schweiz wird als spezifischer und bewusst gewählter Lösungsansatz verstanden, um finanzielle Prekarität im Rentenalter zu umgehen.

Wenn Mobilität Teil des Plans ist

Aufgrund dieses frühen Bewusstseins der eigenen finanziellen Lage können persönliche Wünsche und Präferenzen in den Entscheidungsfindungsprozess mit einbezogen werden. Jean, der kurz nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters nach Spanien auswanderte, um mit einem Renteneinkommen von knapp 2400 CHF über die Runden zu kommen, erklärte:

«Es war eine Mischung aus Notwendigkeit und Lust. Einerseits gab es diese finanzielle Notwendigkeit, die Schweiz zu verlassen, das ist klar. Aber ich hatte auch den Wunsch, am Mittelmeer zu leben. Ich mag das Klima und das Meer.»

Um die bestmögliche Balance zwischen den finanziellen Möglichkeiten und den eigenen Vorstellungen für die Pensionierung zu finden, nahmen sich Jean und seine Frau Zeit:

«Wir suchten zwei Jahre lang. Jedes Mal, wenn wir drei oder vier freie Tage hatten, reisten wir mit dem Auto in kleine Städte in Italien, Südfrankreich und Spanien, um uns einen Eindruck von der Gegend zu verschaffen und zu entscheiden, ob eine dieser Städte unser neuer Wohnort sein könnte.»

Dieses Beispiel veranschaulicht, dass Rentner*innen mit geringem Renteneinkommen aktiv und eigenständig nach Lösungsansätzen suchen. Wenn immer möglich, fliessen Präferenzen und Wünsche in diesen Entscheidungsprozess mit ein.

Wenn Mobilität nicht Teil des Plans ist

Wie aber erleben Individuen die Auswanderung, wenn eine solche Mobilität nicht Teil des Rentenplans war? Monique stellt so einen Fall dar. Sie ist 70 Jahre alt und arbeitete ein Jahr über das ordentliche Rentenalter hinaus., weil sie Freude an ihrer Arbeit hatte und sich Zeit für ihre Entscheidung lassen wollte. Mit etwas über 2000 CHF monatlichem Renteneinkommen sah sie jedoch nur eine Option: die Schweiz zu verlassen.

«Wenn ich in der Schweiz hätte bleiben können, wäre ich geblieben. Aber […] ich wollte nicht bleiben und nichts machen können, weil ich nicht genug Geld habe, nein. Ich kann nicht einmal eine Tasse Kaffee trinken gehen, weil das 4 Franken kostet. Es ist furchtbar, also bin ich gegangen.»

Nun lebt sie seit fünf Jahren in Spanien – ein Land, in dem sie nur ihre Schwester und ihren Schwager regelmässig sieht. Rückreisen sind aufgrund ihres kleinen Budgets nur unter bestimmten Bedingungen möglich, etwa wenn sie bei Angehörigen unterkommen und billige Flüge buchen kann. Unter der eingeschränkten Möglichkeit, regelmässig und spontan Zeit mit ihren Liebsten zu verbringen, leidet sie.

Rentner*innen im Ausland: Verkürzte Perspektiven rund um die 13. AHV-Rente

Rentner*innen im Ausland werden in der Debatte rund um die 13. AHV-Rente von verschiedener Seite als argumentativer Spielball herbeigezogen. Einerseits aus nachvollziehbarem Grund, weil gut 35 Prozent der Rentenempfänger*innen im Ausland leben und gut 15 Prozent der Rentensumme ins Ausland fliesst (BSV, 2023). Andererseits und oft aber aus arg verkürzter Perspektive: Indem finanzieller Druck als Hauptgrund für internationale Mobilität im Alter ignoriert wird, und indem übersehen wird, dass die Auswanderung während der Pensionierung oft eine bewusst gewählte Strategie ist. Ein Entscheid, der nicht mit der Aussicht auf ein Luxus-Leben getroffen wird, und der wie bei Monique harte Konsequenzen haben kann.

Alle Namen in diesem Beitrag sind anonymisiert.

Livia Tomás ist Postdoktorandin an der ZHAW, Soziale Arbeit. Während sie sich zurzeit für die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Migrant*innen in der Schweiz interessiert (Evolving (Im)Mobility Regimes), befasste sie sich während ihres Doktorats an der Universität Neuenburg mit Migrations- und Mobilitätsplänen von Rentner*innen (Transnational Ageing and Post-Retirement Mobilities).

Bibliographie:

-Bolzman, C., Fokkema, T., Guissé, I., & van Dalen, D. (2021). Starting a new life in the South? Swiss, Dutch and Flemish ageing in Morocco: a lifecourse perspective. Ageing & Society, 41(6), 1240-1266.
-Bolzman, C., Kaeser, L., & Christe, E. (2017). Transnational Mobilities as a Way of Life Among Older Migrants from Southern Europe. Population, Space and Place, 23(5), e2016.
-BSV, Bundesamt für Sozialversicherungen. (2023). AHV-Statistik 2022. Eidgenössisches Departement des Innern, Bundesamt für Sozialversicherungen.
-Gabriel, R., Koch, U., Meier, G., & Kubar, S. (2023). Altersmonitor: Nichtbezug von Ergänzungsleistungen in der Schweiz. Pro Senectute.
-Repetti, M., & Schilliger, S. (2021). In Search of a Good Life in and Out of Switzerland: Making Use of Migration in Old Age. In M. Repetti, T. Calasanti, & C. Phillipson (Eds.), Ageing and Migration in a Global Context: Challenges for Welfare States (pp. 147-161). Springer.
-Tomás, L. (2023). Ageing Transnationally: A Comparative Analysis of Transnational Mobilities in Old Age. [Doctoral dissertation, University of Neuchâtel]. Libra.

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