Diskriminierungserfahrung im Alltag
Wann ist Ihnen zum letzten Mal aufgefallen, dass jemand im Dorf wegen Ihnen die Strassenseite wechselt? Wollten Sie letzthin ein Produkt kaufen und es war ausverkauft – aber die Person hinter Ihnen konnte es dann trotzdem kaufen? Hat Sie schon einmal jemand im Tram angeblökt wie ein Schaf? Eben.
So unvorstellbar diese Ereignisse für die meisten Schweizer und Schweizerinnen sind, gehören sie heute zum Alltag von Schwarzen in der Schweiz. Im Auftrag der Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) haben Forschende alltägliche Diskriminierungserfahrung von Schwarzen untersucht. Wohl, weil diese Ereignisse schwer vorstellbar sind – sie widersprechen den gängige Normen eines höflichen und respektvollen Umgangs – ist der Rassismus gegenüber Schwarzen in der Schweiz bislang wenig untersucht. Im Allgemeinen herrscht die Meinung vor, dass es in der Schweiz keinen Rassismus gibt: Die Schweiz hatte selbst ja keine Kolonien; und als reiches, zivilisiertes Land gibt es Rassismus bei ‘uns’ nicht – “wir befinden uns doch nicht mehr im 19. Jahrhundert” heisst es dann.
In Gesprächen mit Betroffenen tönt es jedoch ganz anders. Diskriminiert zu werden, ist für Schwarze Alltagserfahrung und alle Lebensbereiche sind davon betroffen. Die Gesprächspartner*innen sind der Ansicht, dass Rassismus in der Schweiz nicht ernst genommen und oft als ‘Luxusproblem’ betrachtet wird. Denn die einzelnen Ereignisse sind für sich betrachtet oft bewältigbar – und auch die meisten Weissen Schweizer*innen wurden schon einmal angepöbelt. Bei Schwarzen handelt es sich aber keineswegs um vereinzelte Vorkommnisse, sondern um eine stetige Begleitung im Leben: Nie wissen sie, wann es das nächste Mal passiert, denn es kommt immer unverhofft.
Beschimpfungen und Beleidigungen sowie Benachteiligung bei Dienstleistungen
Physische Gewalt wurde von den Gesprächspartner*innen selten erwähnt. Hingegen erleben sie Beschimpfungen und Beleidigungen, die von den Betroffenen je nach Situation verschieden wahrgenommen werden. Wenn Schwarze in der Schweiz gelernt haben, auf die eine oder andere Art mit Diskriminierung und Rassismus im Alltag umzugehen, bedeutet dies jedoch nicht, dass diese nicht von Bedeutung sind. Besonders die Tatsache, dass Rassismus überall und zu jeder Zeit passieren kann, setzt vielen zu – auch wenn sie dies gegen aussen nicht unbedingt zeigen. Ein Beispiel sind rassistische Bemerkungen unter Freundi*nnen und Kolleg*innen, die auch als Witz verkleidet, sehr schmerzhaft sein können.
Diskriminierung im Sinne von verweigertem oder minderwertigem Service wurde von den Gesprächspartner*innen wiederholt erwähnt. Immer wieder werden sie beim Einkauf oder im Restaurant ‘übersehen’ oder Probleme und Defekte an von ihnen gekauften Produkten nicht ernst genommen. Wenn dann Freund*innen oder Bekannten ohne Weiteres eine Lösung angeboten wird, ist der Fall jeweils besonders deutlich, wie das folgende Zitat zeigt:
Ich habe auf der Webseite meiner Wohngemeinde gesehen, dass es noch zwei SBB-Tageskarten gab. Aber als ich im Gemeindebüro danach fragte, sagte mir ein ziemlich arroganter junger Beamter, es gebe keine mehr. Ich ging nach Hause und schaute wieder auf der Webseite nach. Dann bat ich eine [Weisse] Kollegin, mir eine Karte zu kaufen. […] Sie kam mit den Fahrkarten zurück.
Manchmal trete ich in einen Laden und das Verkaufspersonal macht keinerlei Anstalten, mich zu bedienen, während ein anderer eintretender Kunde mit einem breiten Lächeln und freundlichen Worten empfangen wird.
Diese Erfahrungen von Benachteiligung führen dazu, dass sich die meisten Gesprächspartner darauf einstellen, z. B. bei der Arbeits- oder Wohnungssuche oder in der Schule, mehr leisten zu müssen, um das gleiche Resultat zu erzielen.
Rassismus bei Polizeikontrollen
Ein häufiges Thema waren Polizeikontrollen und die fehlende Zivilcourage der Aussenstehenden, die zuschauen, wenn sie Zeugen von rassistischen Handlungen werden.
[Ich konnte] quasi durch keine zwei Bahnhöfe gehen, ohne kontrolliert zu werden. […] du bist mit Weissen Kollegen unterwegs und sie kontrollieren dich: Das ist eine Demütigung, die dir sagt, “du bist nicht wie die anderen!”.
Der Eindruck, dass die Polizei sich für solche diskriminierenden Verhaltensweisen nicht rechtfertigen muss, obwohl sie eigentlich alle fair behandeln sollte, setzt den Betroffenen stark zu. Dazu kommt noch das Gefühl, dass die anderen – die anwesenden Bekannten – irgendwie doch glauben, etwas sei da nicht ganz in Ordnung: Ganz ohne Grund oder Verdacht würde man ja nicht kontrolliert werden.
Übrigens, die eingangs erwähnte Geschichte mit den Schafen ereignete sich im Zusammenhang mit den ‘Schäfchen’-Plakaten, die 2007 für die Volksinitiative zur ‘Ausschaffung krimineller Ausländer’ Werbung machte:
Eine Gruppe von Jugendlichen näherte sich [und] plötzlich fingen sie an, wie Schafe zu blöken: bäh bäh bäh. Das Tram war ziemlich voll aber […] niemand, niemand zeigte die geringste Reaktion.
Eine ältere Dame forderte die Jungen später zu mehr Respekt auf und wurde prompt beschimpft. Die betroffenen Frauen stiegen an der nächsten Haltestelle aus: Ausweichen ist eine Strategie, mit solchen unangenehmen Ereignissen einigermassen klar zu kommen, aber warum sollten sie ihren Tagesablauf oder ihre Vorhaben anzupassen, haben sich doch die anderen respektlos und unangemessen verhalten? Das ist nicht fair.
Forschungsresultate verlangen nach Taten
Alle Schwarzen in der Schweiz machen regelmässig Diskriminierungserfahrungen, die sich direkt oder auch subtiler äussern. Die Schwarze Hautfarbe macht das Problem der Diskriminierung besonders deutlich, aber auch schmerzhaft, denn die Betroffenen haben keine Möglichkeit sich ihrer etwa durch Spracherwerb oder Verhaltensänderungen zu entledigen. Einige der Betroffenen stören sich besonders an der Tatsache, dass auch viele Schwarze Menschen das Schweizer Bürgerrecht haben und im Prinzip durch die Verfassung vor Diskriminierung geschützt sein sollten.
In der Vergangenheit waren Wissenschaftler daran beteiligt, Rassismus zu verbreiten und legitimieren. Heute distanziert sich die Wissenschaft, zum Beispiel in der Jenaer Erklärung, klar davon: “Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung.“ Die Resultate aus der Diskriminierungsforschung machen deutlich, dass auf diese Einsicht nun Taten folgen müssen.
Didier Ruedin ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent am Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien der Universität Neuchâtel und Leiter des nccr – on the move Projektes «Überwindung ungleicher Chancen durch Bildung».
Referenzen:
– Efionayi-Mäder, Denise, & Ruedin, Didier. (2017). Anti-Schwarzen-Rassismus in der Schweiz – Eine Bestandsaufnahme. Neuchâtel: SFM Universität Neuchâtel. Unter Mitarbeit von Mélanie-Evely Pétrémont, Noémi Michel und Rohit Jain.
– Jenaer Erklärung.