Frauen in der Nothilfe – eine Aufgabe für die Soziale Arbeit
Dieser Beitrag beruht auf unserer Bachelorarbeit, in der wir uns mit den Alltagsbewältigungsstrategien und Schwierigkeiten von Frauen in der Nothilfe befassten. Frauen sind innerhalb der Nothilfe eine Minderheit und ihren Bedürfnissen wird oft nicht Rechnung getragen. Die Soziale Arbeit muss diesen Handlungsbedarf anerkennen und eine Balance finden im Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen der Betroffenen, des Staates und der Professionsethik.
Abgewiesene Asylsuchende mit einem rechtskräftigen Wegweisungsentscheid und Personen mit einem Nichteintretensentscheid (NEE) haben seit 2004 lediglich Anspruch auf Nothilfe. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Bemessung und Ausrichtung von Nothilfe sind kantonal geregelt und die Ausgestaltung ist entsprechend unterschiedlich.
Dieser Ermessensspielraum der Kantone zeigt sich beispielsweise bei der Unterbringung. Im Kanton Bern werden Frauen in Asylunterkünften untergebracht, im Kanton Wallis in Wohnungen. Frauen in Asylunterkünften sind mit verschiedenen geschlechtsspezifischen Benachteiligungen konfrontiert. Sie leiden etwa unter mangelnder Privatsphäre, da bis zu sechs Frauen in einem Zimmer leben und Rückzugsmöglichkeiten fehlen. Belästigungen durch in der gleichen Unterkunft wohnende Männer sind ein weiteres Problem, wie der folgende Auszug aus einem Interview zeigt:
«Vor einer Woche, weniger als eine Woche, ist einer zu mir gekommen. Es war 12 Uhr in der Nacht. Ich war am Liegen, als er gekommen ist. Er war bekifft oder betrunken, keine Ahnung. Er hat laut geklopft. Dann sagte ich: ‘Was ist los, wer ist da?’ Aber er hat seinen Namen nicht gesagt. Er wollte Zigaretten von mir und dann habe ich ihm welche gegeben und gesagt, ok, nimm du die. Puhh, ja, das ist gefährlich. Und vor ein paar Monaten kam einer (…), der wollte nicht Zigaretten, sondern reinkommen. Und dann bin ich ins Büro gegangen.»
Die mit 8 CHF pro Tag minimale finanzielle Unterstützung stellt eine zusätzlich grosse Herausforderung dar. Sie macht es schwierig, ein Zugticket zu kaufen – zumal die Unterkünfte häufig abgelegen sind – oder frauenspezifischen Bedürfnissen wie der monatlichen Hygiene Rechnung zu tragen. Die sanitären Anlagen in den Unterkünften müssen zudem meist mit vielen Personen (auch Männern) geteilt werden und die hygienischen Zustände sind katastrophal (Terre des Femmes 2014).
Angst, ein ständiger Begleiter im Alltag von Nothilfebezügerinnen
«In dieser Zeit habe ich viel, viel Angst gehabt. Ich habe immer noch Angst, sie wissen das nicht. Einmal wollte ich mich selber töten, sicher. Ich habe gesagt, stopp jetzt, ich will sterben.»
Das Leben in der Nothilfe, die Machtlosigkeit und das «Nichts-Tun» bergen für die betroffenen Frauen viele Probleme. Sie leiden unter ihrer ausweglosen Situation und deren Folgen wie Verdrängung, sozialer Isolation und mangelndem Selbstwertgefühl. Angst und Sorgen um die Zukunft sind daher ein täglicher Begleiter von Nothilfebezügerinnen und -bezügern.
Nicht nur Frauen, sondern auch Mütter
Eine grosse Belastung für Nothilfebezügerinnen ist ihre Mutterrolle. Viele Frauen haben Kinder im Herkunftsland zurückgelassen in der Hoffnung diese nachzuziehen, was ihnen nun versagt bleibt. Die Angst um diese Kinder ist stets präsent. Besteht Kontakt zu Angehörigen, kann dieser als belastend erlebt werden, da sie ihrer Verantwortung, Geld nach Hause zu schicken, nicht nachkommen können. Andererseits bleibt einigen der Kontakt zu ihren Kindern oder anderen Familiengehörigen verwehrt, da sie diese dadurch Gefahren aussetzen würden. Dies bringt eine enorme psychische Belastung für die Frauen mit sich, wie eine Betroffene beschreibt:
«Ich habe zwei Kinder in meinem Land, das ist nicht einfach für eine Mutter. Ich denke immer darüber nach. Einmal bin ich krank geworden wegen dieser Situation.»
Akuter Handlungsbedarf für die Soziale Arbeit
«Wir sind abgelehnte Leute und wir müssen in diesem Zentrum sein. Jeden Tag.»
Nothilfebezügerinnen entwickeln verschiedene Bewältigungsstrategien, um mit dieser belastenden Situation umzugehen. Diese können unterschieden werden in solche, die positive Erfahrungswerte wie das Entwickeln und Nutzen neuer persönlicher Ressourcen erlauben, sowie in negative Strategien, die zu psychischen und gesundheitlichen Gefährdungen führen.
Nothilfebeziehenden bleibt als einzige Perspektive auf eine Aufenthaltsbewilligung das Stellen eines – in der Regel erfolglosen – Härtefallgesuchs. In dieser ausweglosen Situation ist es schwierig, positive Strategien zu entwickeln. Negative Bewältigungsstrategien überwiegen, mit schweren Auswirkungen auf die Gesundheit der Nothilfebezügerinnen. Psychische Probleme häufen sich – bis hin zu Suizidgedanken.
Soziale Arbeit nennt sich eine Menschenrechtsprofession und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen in Notlagen zu unterstützen und für ihre Rechte einzustehen. Daher ist es umso alarmierender, dass Professionelle der Sozialen Arbeit im Nothilfebereich fast ausschliesslich im Kontext von Rückkehrberatungen mit Betroffenen arbeiten, obwohl die eigenständige Inklusion in die Gesellschaft für die Betroffenen aufgrund fehlender Ressourcen fast unmöglich ist. Dies schafft eine Dringlichkeit, Nothilfebeziehende im Alltag zu begleiten und ihre Selbstständigkeit zu fördern. In einer Nothilfeunterkunft könnten sozialpädagogische Interventionen zudem eine vermittelnde Rolle einnehmen, so dass physische und psychische Probleme frühzeitig erkannt werden.
Es steht also ausser Frage, dass sich die Soziale Arbeit im Bereich der Nothilfe betätigen soll. Wie wir in diesem Beitrag aufgezeigt haben, besteht ein dringender Handlungsbedarf sowohl hinsichtlich von Interventionen für die Lebensbedingungen der betroffenen Frauen als auch hinsichtlich einer grundsätzlichen Veränderung der Strukturen des Nothilferegimes. Entsprechend müssten für Professionelle der Sozialen Arbeit im Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen der Betroffenen, des Staates und der Professionsethik neue Aufgaben und Arbeitsbedingungen definiert werden.
Lea Summermatter hat einen Bachelor in Sozialer Arbeit von der HES-SO Valais-Wallis, Hochschule für Soziale Arbeit, Siders.
Fabienne Zimmermann schliesst derzeit den Bachelor in Sozialer Arbeit an der HES-SO Wallis-Valais, Hochschule für Soziale Arbeit, Siders ab.
Die Interviews wurden im Jahr 2018 geführt. Die Zitate wurden für eine bessere Lesbarkeit sprachlich geglättet und in das Schriftdeutsche Schriftdeutsche übertragen.
Referenzen:
– Lea Summermatter, Fabienne Zimmermann (2019). Alltagsbewältigungsstrategien von Frauen in der Nothilfe in den Kantonen Bern und Wallis, Bachelorarbeit, HES-SO Valais-Wallis, Hochschule für Soziale Arbeit.
– Terre des Femmes Schweiz (2014). Bericht zur Lage asylsuchender Frauen in Kollektivunterkünften, Terre des Femmes.