Kantonales Wahlrecht für ausländische Einwohner*innen: Zu den Debatten in Genf und Basel-Stadt
Die Frage der politischen Partizipation von ausländischen Einwohner*innen in Genf und Basel-Stadt ist wieder aktuell. Die beiden städtischen Kantone weisen zahlreiche Parallelen auf. Ihr dynamisches wirtschaftliches Umfeld geht einher mit einem hohen Anteil an Bewohner*innen ohne Schweizer Pass, die im Jahr 2023 jeweils 41% bzw. 38% der Wohnbevölkerung ausmachten. In beiden Kantonen stehen derzeit politische Initiativen zur Erweiterung der kantonalen Wählerbasis zur Diskussion.
Bereits 2005 hatten beide Kantone einen Schritt in Richtung des kommunalen Wahlrechts für ausländische Bewohner*innen gemacht, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Genf hatte, wie viele Westschweizer Kantone, das Stimm- und Wahlrecht für Einwohnerinnen und Einwohner ohne Schweizer Pass in allen seinen Gemeinden verbindlich eingeführt; Basel-Stadt, wie einige Deutschschweizer Kantone, hatte bei der kantonalen Verfassungsrevision ihren Gemeinden die Möglichkeit gegeben, das Stimm- und Wahlrecht einzuführen. Diesen Etappensiegen auf dem Weg zur Stärkung der politischen Rechte der ausländischen Wohnbevölkerung waren zahlreiche Bemühungen vorausgegangen. Die Vorgeschichte dieser Entscheide von 2005 und die aktuelle Situation werden in diesem Blogbeitrag kurz erläutert.
Genf
Die Forderung nach dem kommunalen und kantonalen Wahlrecht für ausländische Bewohner*innen wurde erstmals im Jahr 1980 in die politische Debatte eingebracht: Migrant*innenorganisationen lancierten in diesem Jahr die erste schweizweite Petition für ein Wahlrecht für Ausländer*innen.
Im Kanton Genf wurde diese von mehr als 12’000 Personen unterschrieben. Etwa zehn Jahre später wurden in Genf zwei kantonale Initiativen mit ähnlicher Stossrichtung lanciert: Die erste verlangte sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht (Toutes citoyennes, tous citoyens) während sich die zweite auf das aktive Wahlrecht beschränkte (Vivre ensemble, voter ensemble). Beide wurden in den nachfolgenden Volksabstimmungen im Jahr 1993 klar abgelehnt.
Auch 2001 wurde das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler Ebene für seit acht Jahren in der Schweiz wohnhafte ausländische Einwohner*innen abgelehnt, dieses Mal jedoch nur knapp. Im Jahr 2005 wurden zwei Initiativen gebündelt und unter dem Motto «J’y vis, J’y vote» zur Abstimmung gebracht. Die eine Initiative, die das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler Ebene forderte, wurde von rund 52 % der Wähler*innen abgelehnt. Die andere Initiative beschränkte sich auf das aktive Wahlrecht und wurde von etwa 52% der Wähler*innen angenommen. Genf war damit der erste Kanton in der Schweiz, in dem politische Rechte für ansässige Ausländer*innen durch die Annahme einer Volksinitiative eingeführt wurden.
Bei der kantonalen Verfassungsänderung von 2012 wurde der weiterführende Vorschlag, das passive kommunale Wahlrecht einzuführen, nicht aufgegriffen. 2019 wurde ein parlamentarischer Gesetzentwurf, der das passive Wahlrecht auf Gemeindeebene und das volle Wahlrecht auf kantonaler Ebene forderte, von der Kommission des Kantonsparlaments angenommen, scheiterte jedoch in der nachfolgenden parlamentarischen Abstimmung. 2022 wurde eine entsprechende Volksinitiative mit über 10’000 Unterschriften eingereicht und vom Staatsrat (Kantonsregierung) genehmigt. Im kommenden Juni 2024 werden die Stimmberechtigen im Kanton Genf darüber abstimmen.
Basel-Stadt
Auch im Kanton Basel-Stadt steht die Frage der Ausweitung der politischen Rechte auf Personen ohne Schweizer Pass seit langem auf der Tagesordnung. 1994 wurde eine Volksinitiative, die darauf abzielte, seit acht Jahren in der Schweiz (davon drei in Basel) wohnhaften Personen das aktive und passive Wahlrecht zu gewähren, mit grosser Mehrheit abgelehnt. Im Jahr 2005 nahm das Volk die neue Kantonsverfassung an, die den einzelnen Gemeinden die Möglichkeit gab, das Wahlrecht auf Ausländer*innen auszuweiten. Im Jahr 2010 erlitten sowohl die kantonale Initiative «Stimmrecht für Migrantinnen und Migranten» zur Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts auf kantonaler Ebene als auch der Gegenvorschlag das gleiche Schicksal und wurden mit 80% Gegenstimmen abgelehnt.
Neun Jahre später reichte die Grossrätin Edibe Gölgeli eine breit abgestützte Motion mit dem Titel «Stimmrecht für Einwohner*innen ohne Schweizer Bürgerrecht» ein. Diese forderte, dass Personen mit einer Niederlassungsbewilligung und mindestens fünfjährigem Wohnsitz im Kanton Basel das kantonale aktive und passive Wahlrecht erhalten sollten. Mit seiner Stellungnahme im Jahr 2020 unterstützte der Basler Regierungsrat das Begehren. Im Laufe dieses Jahres werden die diesbezüglichen parlamentarischen Beratungen stattfinden.
Teilhabe fördern – Demokratie stärken
Beide Kantone stehen vor der Herausforderung, das Prinzip der Demokratie mit der Realität eines hohen Ausländeranteils in Einklang zu bringen. so dass das Recht auf politische Partizipation immer weniger allein auf die Staatsangehörigkeit gestützt werden kann.
In Genf lag die Wahlbeteiligung bei den Grossratswahlen im Jahr 2023 bei 37,1 % der stimmberechtigen Bevölkerung: Nur rund 102’500 Personen stimmten somit über Fragen ab, die eine Wohnbevölkerung von 517’802 Personen betrafen. In Basel-Stadt betrug die Wahlbeteiligung im Jahr 2023 43,9%: Rund 46’000 Personen stimmten also über Angelegenheiten ab, die 205’582 Basler Einwohner*innen tangierten. Die Einführung des kantonalen Wahlrechts für ausländische Bewohner*innen ist eine Möglichkeit, dieses Demokratiedefizit zu beheben.
Genf und Basel-Stadt gehörten zu den ersten Kantonen, die 1960 bzw. 1966 das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene einführten und damit die lokale Demokratie stärkten. Die Ausweitung der politischen Rechte der ausländischen Bewohner*innen würde nun sicherstellen, dass ein weiterer grosser Teil der Wohnbevölkerung in den Kreis der Stimm- und Wahlberechtigen eingeschlossen wird. Damit würde der soziale Zusammenhalt gefestigt und die lokale Demokratie gestärkt.
Zaira Esposito hat einen Masterabschluss in öffentlicher Politik und Management und ist Mitinitiatorin des Projekts „Migrant*innensession beider Basel“; Rosita Fibbi, ist Migrationssoziologin und assoziierte Forscherin des nccr – on the move.
Bibliographie:
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-Rüegger, Vanessa (2017). Demokratie – Politische Rechte für Ausländerinnen und Ausländer. In: Andreas, Glaser (Hrsg.), Politische Rechte für Ausländerinnen und Ausländer? (S. 75-106). Zürich: Schulthess Juristische Medien AG.
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