Chancen und Herausforderungen der privaten Unterbringung von Geflüchteten

26.06.2024 , in ((Ukrainian Refugees)) , ((Keine Kommentare))

Die private Unterbringung hat seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine einen wertvollen Beitrag zur Integration der Geflüchteten in der Schweiz geleistet. Das Modell bietet unter Berücksichtigung verschiedener Rahmenbedingungen hohes Potenzial für alle Geflüchteten. Dabei müssen sowohl die Bedürfnisse der Beteiligten wie auch die kantonalen und kommunalen Strukturen beachtet werden.

Nach Ausbruch des Angriffskrieges in der Ukraine im Februar 2022 zeigte die Schweizer Bevölkerung eine riesige Solidarität: Innert kürzester Zeit stellten Privatpersonen zehntausende Schlafplätze zur Verfügung, um den flüchtenden Menschen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Erstmals bildete die private Unterbringung von geflüchteten Menschen ein tragendes Element der offiziellen Aufnahmepolitik in der Schweiz und half mit, eine Überlastung des Asylsystems zu verhindern.

Im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM) vermittelte die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) in den ersten sechs Monaten nach Kriegsausbruch über 5’000 Personen direkt aus den Bundesasylzentren in Privathaushalte, unzählige Weitere suchten sich über private Kontakte oder weitere Kanäle wie Social-Media-Plattformen selbständig eine Gastfamilie.

Untersuchung der Gastfamilienverhältnisse

Doch was bedeutet es eigentlich, Gastfamilie für geflüchtete Menschen zu sein? Und welche Faktoren müssen erfüllt sein, damit die private Unterbringung für alle Beteiligten ein positives Erlebnis wird?

Diesen und weiteren Fragen sind die Berner Fachhochschule (BFH), die Hochschule Luzern (HSLU) und die SFH in einer Online-Befragung von rund 1’000 Gastfamilien aus 19 Kantonen und 24 vertiefenden Interviews mit Geflüchteten und Gastfamilien nachgegangen. Die in einem Kurzbericht sowie einem ausführlichen Schlussbericht ausgewerteten Resultate zeigen, dass die Privatunterbringung einen wertvollen Beitrag für die Integration der Geflüchteten in der Schweiz leisten kann.

Fachliche Begleitung und Privatsphäre

Dieser Erfolg ist allerdings abhängig von bestimmten Rahmenbedingungen. Damit private Unterbringung ein nachhaltiges und erfolgreiches Unterbringungsmodell sein kann, sind eine Professionalisierung der Vermittlung und Begleitung sowie die Klärung von Verantwortlichkeiten notwendig.

Die fachliche Begleitung der Gastfamilien und Geflüchteten beginnt bereits vor der eigentlichen Vermittlung. Dabei wird einerseits sichergestellt, dass der angebotene Wohnraum beiden Parteien genügend Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten bietet. Gleichzeitig werden mit allen Beteiligten die Erwartungen an und Regeln für das gemeinsame Zusammenleben geklärt. Die Bedürfnisse sind oft unterschiedlich: Während Gastfamilien oft das Bedürfnis nach Interaktion äussern, besteht bei Geflüchteten – gerade in der ersten Zeit nach dem Ankommen – oft ein grosses Bedürfnis nach Ruhe und Privatsphäre.

Erreichbarkeit und Formalisierung der Wohnverhältnisse

Die Erreichbarkeit der Behörden sowie klar bezeichnete Ansprechpersonen für Gastgebende und Gäste sind auch nach erfolgter Vermittlung wichtig, um bei Fragen, Unsicherheiten oder allfälligen Konflikten rasch Unterstützung zu erhalten. Damit kann auch verhindert werden, dass Gastfamilien zu viel Care-Arbeit übernehmen und einen zu hohen «Mental Load» tragen müssen.

Die Solidarität der Gastfamilien ist in der Regel gross und der Wohnraum wird oft zu günstigen Konditionen angeboten. Trotzdem erweist sich die vertragliche Regelung der Wohnverhältnisse sowie eine angemessene Abgeltung als wichtig, um eine stabilere Wohnsituation zu schaffen. Abhängigkeiten werden damit gemindert und eine Begegnung auf Augenhöhe zwischen Geflüchteten und Gastgebenden ermöglicht.

Austausch und Vernetzung

Weiter ist es für Gastfamilien wichtig, sich untereinander zu vernetzen und Erfahrungen auszutauschen. Weiterbildungsmöglichkeiten für Gastfamilien unterstützen das Verständnis für die Situation der Geflüchteten. Insbesondere Kenntnisse über mögliche Auswirkungen von Kriegs- und Fluchterfahrungen auf die Gesundheit und über den Umgang mit potenziell traumatisierten Personen sowie transkulturelle Kompetenzen wirken einer möglichen Überforderung entgegen.

Potenziale der Privatunterbringung

Praktisch alle Gastfamilien unterstützen die Geflüchteten bei Alltagsfragen. Rund die Hälfte bietet auch Hand bei der Suche nach einer Erwerbstätigkeit oder nach geeigneten Sprachkursen. Viele vernetzen ihre Gäste mit Freunden und Bekannten oder unterstützen sie bei der Organisation von Freizeitaktivitäten, Schuleintritt, Behördengängen und vielem mehr. Von den befragten Gastfamilien gaben zudem mehr als die Hälfte an, auch nach Auflösung des Gastfamilienverhältnisses weiter Kontakt zu den Geflüchteten zu pflegen.

Nebst dieser sozialen Vernetzung und Unterstützung bietet die Unterbringung bei Privatpersonen weitere Vorteile: Das Leben in der Schweiz wird greif- und erlebbar – viel direkter als dies durch Infoveranstaltungen oder Kurse zur Alltagsorientierung möglich wäre. Dass die in Sprachkursen erworbenen Kenntnisse im privaten Umfeld angewendet werden können, wirkt sich ausserdem positiv auf den Spracherwerb aus.

Gastfamilien – ein Modell für die Zukunft?

Die private Unterbringung von Geflüchteten birgt also grosses Potenzial für deren Integration. In der aktuellen Debatte wird allerdings oft darauf hingewiesen, dass die Erfahrungen mit der Privatunterbringung ukrainischer Geflüchteter nicht auf andere Flüchtlingsgruppen übertragen werden können, da sich die Solidarität in der Bevölkerung nicht bei allen gleich manifestiere. Allerdings existieren in mehreren Kantonen bereits seit Jahren gut funktionierende Gastfamilienprojekte: In Basel-Stadt, Schaffhausen und Waadt kann auf wertvolle Erfahrungen mit der Vermittlung von Geflüchteten mit Aufenthaltsstatus F oder B aus verschiedenen Ländern zurückgegriffen werden.

Es ist unbestritten, dass die Privatunterbringung nicht für alle Personen das geeignete Modell ist. Die Freiwilligkeit ist nebst den zuvor genannten Elementen ein weiterer Schlüsselfaktor für deren Gelingen, ebenso wie das Vorhandensein von Alternativen und angemessenen Fallback-Lösungen.

Eine Herausforderung können dabei die föderalistischen Strukturen darstellen. Zuständigkeiten sowie Organisationsform der Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten variieren von Kanton zu Kanton. In jedem braucht es daher eine angepasste Einbettung der Privatunterbringung in die Strukturen des Asyl- und Flüchtlingswesens.

Aus Sicht der SFH ist die Privatunterbringung eine wertvolle Ergänzung der bestehenden Unterbringungsstrukturen mit dem Potenzial, die Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt langfristig zu fördern. Die Privatunterbringung soll deshalb als zusätzliche Unterbringungsmöglichkeit in den kantonalen und kommunalen Strukturen verankert werden, um eine bedarfsgerechte Unterbringung und integrationsförderndes Wohnen zu ermöglichen.

Raphael Strauss ist Fachreferent Integration mit Schwerpunkt Unterbringung und soziale Integration bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) und hat nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine das Gastfamilienprojekt der SFH geleitet.

Literatur:

-Ammann Dula, Eveline; Fuchs, Gesine; Gautschi, Nadine; Granwehr, Eva; Lutz, Selina (2024). Wohnen statt Unterbringung Chancen und Herausforderungen der privaten Unterbringung von geflüchteten Menschen mit Schutzstatus S. Bern und Luzern. BFH und HSLU.
-Ammann Dula, Eveline; Fuchs, Gesine; Gautschi, Nadine; Granwehr, Eva (2024). Housing instead of accommodation Opportunities and challenges of private accommodation for refugees with protection status S. Summary. Bern und Luzern. BFH und HSLU.
-Strauss, Raphael; Ammann Dula, Eveline; Fuchs, Gesine (2023). «Gastfamilien» für ukrainische Geflüchtete. Kurzbericht zur überregionalen Befragung von «Gastfamilien» zwischen Oktober und Dezember 2022. Bern: Schweizerische Flüchtlingshilfe.

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