Ambivalenzen der Internationalisierungsdynamik im Fachhochschulstudium

29.06.2021 , in ((Social Work)) , ((Keine Kommentare))
und

Fachhochschulen orientieren sich einseitig an Konzepten von Internationalisierung, die grenzüberschreitende Mobilität während des Studiums fördern. Dies wird der facettenreichen Internationalität der Hochschulangehörigen nicht gerecht, wobei insbesondere migrationsgesellschaftliche Verhältnisse im Rahmen der aktuellen Internationalisierungsdynamik ausgeklammert werden – auch im Fachbereich Soziale Arbeit.

Das Forschungsprojekt «Internationalisierung an Fachhochschulen: Zur Bedeutung von Geschlecht und Migration für Bildungs(un)gleichheit» untersuchte am Beispiel der Fachbereiche Soziale Arbeit, Pädagogik, Technik und Wirtschaft die aktuelle Internationalisierungsdynamik an Fachhochschulen der Deutsch- und Westschweiz. Datenbasis der Studie bildeten Interviews mit Hochschulverantwortlichen und migrantischen Studierenden in den Bachelor-Studiengängen.

Ausklammerung migrationsgesellschaftlicher Verhältnisse

Unter anderem beleuchtete das Projekt die Frage, was an den Hochschulen unter Internationalisierung verstanden wird und welche Zielsetzungen mit deren Förderung in Verbindung gebracht werden. Die Auslandsmobilität von Studierenden und Mitarbeitenden erweist sich dabei als weitgehend unhinterfragter Standard von Internationalisierung. Entsprechende Programme sind zu einem wesentlichen Teil darauf ausgerichtet, Semesterstudienaufenthalte etwa an einer Partneruniversität im Ausland zu ermöglichen sowie durch gezielte Integration dieser Angebote in die jeweiligen Studiengänge die Mobilitätsnachfrage zu erhöhen. Neben solchen «Outgoing»-Studierenden sind zudem jene relevant, die als «Incoming» bspw. für ein Semester an die eigene Hochschule kommen.

Migrationsgesellschaftliche Fragen werden damit aus dem Themenfeld der Internationalisierung ausgeklammert und die Komplexität internationaler Verhältnisse an Hochschulen auf den Aspekt der internationalen Mobilität reduziert. Mit diesen einseitigen Bestrebungen zur Förderung von Internationalität wird eine binäre Differenzordnung von «eigen» und «fremd» aktiviert, die auch Markierungen von Fremdheit und Nicht-Zugehörigkeit beinhaltet. Die Erfahrungen und biographischen Ressourcen migrantischer Studierender werden dagegen nicht als Ausdruck von «Internationalität» ausgelegt. Dies verdeutlicht, wie schwer sich Fachhochschulen damit tun, sich auf eine durch weltweite Migration und transnationale Netzwerke geprägte gesellschaftliche Wirklichkeit einzustellen (vgl. Karakaşoğlu 2016).

Differenzerfahrungen migrantischer Studierender

Migrantische Studierende sehen sich oftmals mit Unterscheidungen konfrontiert, die einen ausschliessenden Charakter haben und gleichzeitig binäre Logiken widerspiegeln, wie etwa zwischen Einheimischen und Migrant*innen oder zwischen gesellschaftlicher Mehrheit und Minderheit.

So lassen die Interviews mit Studierenden im Bachelor-Studium der Sozialen Arbeit und der Pädagogik auf einen wenig durchdachten und inklusiven Umgang mit sprachlichen Kompetenzen schliessen. In beiden Fachbereichen gelten perfekte Sprachkenntnisse, die wiederum mit so genannt «muttersprachlichen» Kenntnissen gleichgesetzt werden, als weitgehend unhinterfragte Norm. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass alle Studierenden – unabhängig von ihrer Erstsprache – vor die Herausforderung gestellt sind, sich angemessene Kenntnisse in Deutsch bzw. Französisch als Wissenschaftssprache anzueignen (Knappik/Dirim/Döll 2013).

Im deutschsprachigen Raum wird zusätzlich erwartet, dass Studierende die Standardsprache beherrschen und gleichzeitig die Schweizer Dialekte verstehen. Dies wird von migrantischen Studierenden als herausfordernd und teilweise auch als ausgrenzend erlebt. Ihre Schilderungen verweisen auf tendenziell monolinguale Verhältnisse, in denen defizitäre Sichtweisen auf migrationsspezifische Mehrsprachigkeit verbreitet sind.

Provinzialität im Hochschulstudium

An allen untersuchten Hochschulen lässt sich feststellen, dass Internationalisierung an strategischer Relevanz gewinnt. Während diese Stossrichtung in den Fachbereichen Wirtschaft und Technik von den Hochschulverantwortlichen weitgehend vorbehaltlos geteilt wird, werden in der Sozialen Arbeit – ähnlich wie in der Pädagogik – auch diesbezügliche Widersprüchlichkeiten thematisiert. Beispielsweise wenn darauf hingewiesen wird, dass die professionelle Praxis der Sozialen Arbeit weiterhin auf einen nationalstaatlichen Orientierungsraum ausgerichtet bleibt. Diese Anzeichen verweisen auf eine provinzielle, tendenziell auf den lokalen resp. nationalstaatlichen Horizont beschränkte, Ausrichtung des Fachbereichs.

Hinzu kommt, dass Studierende mit Migrationshintergrund in der Sozialen Arbeit mit lediglich 20 Prozent deutlicher untervertreten sind als im Fachhochschulstudium generell. Gemäss Angaben des Bundesamtes für Statistik beträgt der Anteil der Studierenden mit Migrationshintergrund an Fachhochschulen über alle Fachbereiche gerechnet 29 Prozent (BFS 2017).

Für die Soziale Arbeit deutet die Analyse folglich auf ein Spannungsfeld zwischen Provinzialität und internationaler Orientierung hin. Gleichzeitig zeigt sich, dass – ungeachtet ihres kritischen Anspruchs – auch in der Sozialen Arbeit gesellschaftliche Hierarchie- und Differenzverhältnisse wirksam werden (Mecheril/Melter 2010). Dies zu erkennen und auch auf Hochschulebene zu thematisieren, erscheint angesichts aktueller gesellschaftlicher Dynamisierungsprozesse und der Transformation hin zur Migrationsgesellschaft besonders relevant.

Susanne Burren ist Leiterin der Fachstelle Gleichstellung und Diversity an der Pädagogischen Hochschule FHNW.

Maritza Le Breton ist Professorin am Institut Integration und Partizipation der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW.

Referenzen:

– Bundesamt für Statistik BFS (2017). Studien- und Lebensbedingungen an den Schweizer Hochschulen. Neuchâtel.
– Karakaşoğlu, Yasemin (2016). Hochschule. In: Mecheril, Paul (Hrsg.). Handbuch Migrationspädagogik. Weinheim/Basel: Beltz, 386–402.
– Knappik, Magdalena, Dirim, İnci, and Döll, Marion (2013). Migrationsspezifisches Deutsch und die Wissenschaftssprache Deutsch. Aspekte eines Spannungsverhältnisses in der Lehrerausbildung. In: Vetter, Eva (Hrsg.). Professionalisierung für Vielfalt. Die Ausbildung von Sprachenlehrer/innen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 42–61.
– Mecheril, Paul and Melter, Claus (2010). Differenz und Soziale Arbeit. Historische Schlaglichter und systematische Zusammenhänge. In: Kessl, Fabian; Plösser, Melanie (Hrsg.). Differenzierung, Normalisierung, Andersheit. Soziale Arbeit als Arbeit mit den Anderen. Wiesbaden: Springer VS, 117–131.

Print Friendly, PDF & Email