Diskriminierung im Wohnungsmarkt als struktureller Rassismus

10.05.2023 , in ((Structural Racism)) , ((2 Kommentare))
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Wir haben ein wissenschaftliches Experiment im Schweizer Wohnungsmarkt durchgeführt. Dieses zeigt auf, dass Personen mit türkischen oder kosovo-albanischen Namen seltener zu Besichtigungsterminen eingeladen werden als Personen ohne solche Namen. Die Betroffenen erleben strukturellen Rassismus aufgrund ihrer Herkunft und werden auf der Suche nach einer Wohnung benachteiligt.

Sowohl Shqipe als auch Daniela haben die Anzeige für eine 3,5-Zimmer-Wohnung am ruhigen Stadtrand gesehen und finden beide, dass es ein toller Ort zum Leben wäre. Die Umgebung scheint perfekt und die Fotos in der Anzeige sind schön. Also wollen beide sicher sein, dass ihre Bewerbung heraussticht. Sie schreiben die Kontaktperson in der Anzeige an und senden ihr kurze Briefe, in denen sie sich vorstellen, so wie es die Immobilienplattform empfohlen hat. Nun entscheidet die Kontaktperson, wer die Wohnung bekommt.

Daniela Gerber wird zu einem Besichtigungstermin eingeladen, doch Shqipe Krasniqi hört nichts mehr von der Kontaktperson. Wenn dies ein Einzelfall wäre, würde sich Shqipe Krasniqi wahrscheinlich nicht allzu viele Sorgen machen – es gab wohl zu viele Bewerbungen. Wahrscheinlich fühlt sich Shqipe Krasniqi jedoch benachteiligt, weil sie spürt, dass Personen wie sie wegen ihres Namens rassifiziert und daher nicht eingeladen werden. Diese Personen scheiden in dieser ersten Bewerbungsrunde häufiger aus, ohne die Möglichkeit, persönlich einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Rassifizierung aufgrund türkisch oder albanisch klingender Namen

Dieses Beispiel illustriert, was wir in einem wissenschaftlichen Experiment untersucht und in einem früheren Blogbeitrag beschrieben haben. Wir haben im Zeitraum März bis Oktober 2018 über 11’000 fiktive Anfragen für Wohnungsbesichtigungen versendet: Von uns erstellte Kandidat*innen haben in allen Teilen der Schweiz versucht, einen Termin zu bekommen, sowohl in städtischen als auch ländlichen Gebieten.

Die fiktiven Kandidaten und Kandidatinnen hatten verschiedene Namen, anhand derer wir eine allfällige Diskriminierung messen konnten: einen Schweizer Namen, einen türkischen, einen kosovo-albanischen, oder einen aus den Nachbarländern (je nach Sprachregion). Wir haben festgestellt, dass Menschen mit türkischen oder albanischen Namen seltener zu einem Besichtigungstermin eingeladen werden als Menschen mit Schweizer Namen.

Weiter haben wir herausgefunden, dass die Einbürgerung nicht vor Diskriminierung schützt. Die Rücklaufquote für türkisch- oder albanisch-stämmige Personen mit oder ohne Schweizer Staatsbürgerschaft unterscheidet sich nicht. Andererseits werden Personen mit einem Namen aus einem Nachbarland nicht anders behandelt als Personen mit Schweizer Namen.

Diese Unterschiede zeigen deutlich, dass es sich um eine Rassifizierung der betroffenen Personen aufgrund ihrer vermeintlichen Herkunft handelt und es nicht darum geht, ob jemand Schweizer*in ist oder nicht. Auch andere Gründe für die Diskriminierung können wir durch das experimentelle Verfahren ausschliessen.

Systematische Nachteile für rassifizierte Gruppen

Das Experiment zeigt: Wenn Vermieter*innen und Verwaltungen aufgrund rassistischer Zuschreibungen handeln, entstehen strukturelle Benachteiligungen. Auch wenn in den meisten Fällen beide Personen eingeladen werden, werden Menschen mit Schweizer Namen besser behandelt als Menschen mit ‚ausländischen‘ Namen, und letztere haben als rassifizierte Personen einen systematischen Nachteil.

Ein solches Experiment kann das Phänomen des strukturellen Rassismus nicht in seiner Komplexität ergründen, etwa, welche Stereotype beeinflussen, wie Menschen ihre Entscheidungen treffen. Es mag sich im Einzelfall um ‚Bauchentscheide‘ handeln, welche das nächste Mal anders ausfallen können. Dank des Experiments können wir aber eindeutig belegen, dass im Schnitt Personen mit türkischen und kosovo-albanischen Namen benachteiligt werden.

Ein Experiment, wie wir es durchführten, kann ebenso wenig die Folgen von Diskriminierung aufzeigen. Mögliche Folgen können sein, dass Shqipe Krasniqi sich woanders eine Wohnung suchen muss, etwa an einem Ort, wo die Miete höher ist, oder an einer lärmigen Strasse statt am ruhigen Stadtrand. Dies kann bedeuten, dass ihr aus der Benachteiligung am Wohnungsmarkt weitere Nachteile erwachsen, etwa aufgrund von Lärmbelastung in gesundheitlicher Hinsicht, oder in Form einer schlechteren Erreichbarkeit des Ausbildungs- oder Arbeitsortes.

Anerkennung ist wichtig

Die wichtigste Folgerung aus unserer Forschung ist, dass wir in einem ersten Schritt anerkennen müssen, dass struktureller Rassismus im Wohnungsmarkt wie auch in anderen Lebensbereichen vorkommt. Wie auch die kürzlich veröffentlichte Grundlagenstudie des Schweizerischen Forums für Migrations- und Bevölkerungsstudien aufzeigt, ist dies ein Fakt, den es in der Politik, durch Vertreter*innen der betroffenen Branchen und in der breiten Gesellschaft zu anerkennen gilt.

Darauf müssen Massnahmen zur Bekämpfung des strukturellen Rassismus folgen. In Bezug auf den Wohnungsmarkt können Schulungen möglicherweise Verantwortliche sensibilisieren. Trotzdem haben Vermieterinnen und Vermieter ohne griffigen Rechtsrahmen aber wenig Anreize, ihr Verhalten zu ändern. Deshalb wäre auch ein verstärkter gesetzlicher Schutz vor rassistischer Diskriminierung angezeigt – auf dem Wohnungsmarkt und darüber hinaus.

Daniel Auer ist Assistenzprofessor am Collegio Carlo Alberto.

Julie Lacroix ist Research Fellow an der Universität St. Andrews.

Didier Ruedin ist Maître d’Enseignement et de Recherche an der Universität Neuchâtel. 

Eva Zschirnt ist Assistenzprofessorin an der Universität Amsterdam.

Dieser Blogbeitrag basiert auf einem Artikel, der 2022 in der von der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus herausgegebenen Zeitschrift Tangram (Nummer 46) erschienen ist.

Bibliographie:

-Auer, Daniel, Julie Lacroix, Didier Ruedin, and Eva Zschirnt. Ethnische Diskriminierung auf dem Schweizer Wohnungsmarkt. 2019. Grenchen: BWO.

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