Ethnische Diskriminierung in der Schweiz – Fakt oder Mythos?

21.03.2019 , in ((Blog series, Discrimination)) , ((Keine Kommentare))

Am 21. März 2019 findet zum 40. Mal der internationale Tag gegen Rassismus statt. In vielen Schweizer Städten werden im Rahmen der Aktionswochen gegen Rassismus Veranstaltungen organisiert, um die Bevölkerung für Fragen der rassistischen Diskriminierung zu sensibilisieren. Der « nccr – on the move » schaltet in dieser Woche eine Blog Serie, um die Leser*innen auf Forschungsresultate, aktuelle Debatten und Massnahmen zur Bekämpfung von «ethnischer» Diskriminierung in der Schweiz hinzuweisen.

Die Frage, inwiefern rassistische oder ethnische Diskriminierung in der Schweiz auftritt, wird kontrovers diskutiert. Zunächst stellt sich daher die Frage der Definition. Sozialwissenschafter*innen sprechen zumeist von einer ungerechtfertigten Diskriminierung bestimmter Personen oder Gruppen, wenn diese aufgrund bestimmter Merkmale (z. B. Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, ethnischer Hintergrund, politische Einstellung, religiöse Konfession etc.) auftritt. Rassistische oder ethnische Diskriminierung sind an die Hautfarbe, bzw. die (zugeschriebene) ethnische Herkunft gebunden.

Wer ist betroffen und in welchen Lebensbereichen?

In den 2017 veröffentlichten Resultaten der 2016 vom nccr – on the move durchgeführten Erhebung zum Leben als Migrant*in der Schweiz gab rund ein Drittel der befragten 6800 Personen an, Diskriminierung und Ungleichbehandlung erlebt zu haben. Auer und Ruedin (2019) folgern, dass Migrant*innen aufgrund ihrer Herkunft in der Schweiz Diskriminierung erfahren. Personen aus Afrika, aus Südamerika und aus Nordamerika scheinen insgesamt stärker betroffen zu sein, wobei selbst Migrant*innen aus den Nachbarländern von Diskriminierung am Arbeitsplatz berichten.

Diese Diskriminierungserfahrungen empirisch zu messen, ist eine methodische Herausforderung für Sozialwissenschafter*innen. Die Aufdeckung von Korrelationen in Datensätzen liefert erste Hinweise auf Ungleichbehandlungen, aber sie kann Diskriminierung nicht belegen. Dass offene ethnische oder rassistische Äusserungen gesellschaftlich verpönt sind, macht es ebenso schwierig, das Vorkommen von Diskriminierung qualitativ zu erforschen. Aus diesem Grund wurden in den letzten Jahren experimentelle Methoden entwickelt, welche auf das eigentliche Verhalten in Entscheidungssituationen fokussieren.

Eine relativ verbreitete derartige Methode ist der Korrespondenztest, welcher darin besteht, bei Stellen- oder Wohnungsausschreibungen jeweils zwei fiktive Bewerbungen einzureichen. In dieser Blog Serie vorgestellte Studien (Beiträge Fibbi, Ruedin, Zschirnt), welche auf dieser Methode beruhen, liefern empirische Belege für ethnische Diskriminierung: Schweizer*innen ausländischer Herkunft müssen rund 30% mehr Bewerbungen einreichen um zu einem Vorstellungsgespräch für eine qualifizierte Stelle eingeladen zu werden (Zschirnt und Fibbi 2019) – ähnliche Mechanismen spielen auf dem Schweizer Wohnungsmarkt (Auer et al. 2019).

Das Team von Giuliano Bonoli unterbreitete Personalverantwortlichen in der Hotellerie für die Besetzung unterschiedlicher Stellen verschiedene Lebensläufe von fiktiven Personen, die sich in mehreren Merkmalen (Herkunft, Geschlecht, Alter etc.) unterschieden. Die Personalverantwortlichen mussten sich für eine der Personen entscheiden. Gemäss den Autoren werden Personen mit Migrationshintergrund benachteiligt, wenn es um qualifizierte Tätigkeiten geht, insb. mit Kundenkontakt. Demgegenüber kann ein Migrationshintergrund in wenig qualifizierten Stellen, z.B. in der Reinigung, von Vorteil sein (Auer et al. 2018). Daniel Auer stellt in seinem Blog-Beitrag weitere Beispiele solcher Experimente vor (Beitrag Auer). In den letzten Jahren wurden mit ähnlichen Methoden Diskriminierungen im Einbürgerungsverfahren (Hainmüller und Hangartner 2013) und bei Wahlen (Portmann und Stojanović 2019) nachgewiesen (Beitrag Portmann und Stojanovic). Dass es auch in anderen Lebensbereichen, wie z.B. in der Schule oder bei Polizeikontrollen, zu Ausgrenzungen kommen kann, zeigen die «Kurz und Gut»-Übersichten der Fachstelle für Rassismusbekämpfung.

Wie steht es um den Diskriminierungsschutz der Betroffenen?

Wenn ethnische Diskriminierung eine Realität ist, stellt sich die Frage, wie sich die Betroffenen wehren können. Die 2015 veröffentlichte Studie des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte untersuchte den Zugang zur Justiz in verschiedenen Diskriminierungsfällen. Die Ergebnisse zeigen, dass die spezialgesetzlichen Regeln die ethnische und rassistische Diskriminierung zwischen Privaten nur lückenhaft und in sehr unterschiedlichem Ausmass erfassen (Matthey und Stefanini 2015). Auch der niederschwellige Zugang zu Anlaufstellen für Betroffene, ist nur beschränkt gewährt, da es nicht in allen Regionen entsprechende Angebote gibt und diese über Ressourcenknappenheit klagen (Probst 2015). Hohe prozessuale Hürden erschweren den Betroffenen die Durchsetzung des Rechtsweges weiter (Kälin und Locher 2015).

Ein Zwischenfazit

Ethnische und rassistische Diskriminierung sind auf allen Ebenen, auch im öffentlichen Diskurs (Beitrag Lavanchy), an der Tagesordnung. Aus diesem Grund sind Aktionen, wie z.B. die in dieser Blog Serie beschriebene Aktionswoche gegen Rassismus der Stadt Bern (Beitrag Maranon), nötig, um die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren. Zum Schluss sei die These gewagt, dass Information und Sensibilisierung nicht ausreichen, um diskriminierenden Handlungen Einhalt zu gebieten und Opfer zu schützen. Nötig wären weitergehende Massnahmen, etwa ein Abbau der prozessualen Hindernisse und ein Ausbau des rechtlichen Rahmens. Mit dieser Erkenntnis schliesst sich dieser Beitrag einer Reihe von Empfehlungen der internationalen Gremien, z.B. des UNO-Menschenrechtsrates, an.

Nicole Wichmann is the Administrative Director of the nccr – on the move. Before taking up this position she conducted different studies on immigrant integration, protection against discrimination and human rights at the Swiss Forum for Migration and Population Studies.

Referenzen
– Auer, Daniel und Didier Ruedin (2019). «Who Feels Disadvantaged? Reporting Discrimination in Surveys» in: Wanner, Philippe and Ilka Steiner (eds.). Migrants and Expats: The Swiss Migration and Mobility Nexus. IMISCOE Research Series. Cham: Springer Nature Switzerland AG.
– Auer, Daniel, Giuliano Bonoli, Flavia Fossati, und Fabienne Liechti (2019). “The Matching Hierarchies Model: Evidence from a Survey Experiment on Employers’ Hiring Intent Regarding Immigrant Applicants.” International Migration Review, 53(1): 90-121.
– Auer, Daniel, Julie Lacroix, Didier Ruedin, und Eva Zschirnt. “Ethnische Diskriminierung auf dem Schweizer Wohnungsmarkt”. Grenchen: Bundesamt für Wohnungswesen, 2019.
– Hainmüller, Jens und Dominik Hangartner (2013). “Who Gets a Swiss Passport? A Natural Experiment in Immigrant Discrimination.” American Political Science Review (February 2013).
– Kälin, Walter und Reto Locher (2015). “Der Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen. Synthesebericht.” Bern: Schweizerisches Kompetenzzentrum für Menschenrechte.
– Matthey, Fanny und Federica Steffanini (2015). “L’accès à la justice en cas de discrimination – Der Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen. Partie 6: Racisme – Analyse juridique.” Bern: Schweizerisches Kompetenzzentrum für Menschenrechte.
– Portmann, Lea und Nenad Stojanović (2019). “Electoral Discrimination Against Immigrant-Origin Candidates”. Political Behavior, (January 2019).
– Probst, Johanna (2015): “Der Zugang zur Justiz in Diskriminierungsfällen. Teilstudie 7: Rassismus – Sozialwissenschaftliche Erhebungen”. Bern: Schweizerisches Kompetenzzentrum für Menschenrechte.
– Zschirnt, Eva und Rosita Fibbi (2019). “Do Swiss Citizens of Immigrant Origin Face Hiring Discrimination in the Labour Market?nccr – on the move Working Paper Series, 20 (February 2019).

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