Ich: SchweizerIn – Du: AusländerIn
Viel wurde in den Medien zur Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative berichtet. Anhand von praktischen Beispielen oder mit Hinweisen auf die Verletzung der Rechtsstaatlichkeit werden die derzeitigen Debatten geführt. Die Auswirkung dieser Volksinitiative auf die aktuellen Integrationsbestrebungen blieb bis anhin hingegen kaum thematisiert.
Die Schweiz orientiert sich im Bereich der Integration am Prinzip «Fordern und Fördern». Einerseits sollen ausländische Staatsangehörige gefördert werden, andererseits werden von ihnen auch Integrationsleistungen gefordert. Der Schwerpunkt liegt dabei meist auf den Kenntnissen einer nationalen Sprache, der wirtschaftlichen Unabhängigkeit und der Bedingung, dass eine ausländische Person nie straffällig wurde. Basierend auf diesen Elementen wurden in den letzten Jahren das Bundesgesetz über die AusländerInnen sowie das Bundesgesetz über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts revidiert. Diese Revisionen folgten dem Leitsatz: je länger eine ausländische Person in der Schweiz ist, desto sicherer soll der Aufenthaltsstatus sein. Gleichzeitig soll erst am Ende einer gelungenen Integration die Möglichkeit bestehen, den Schweizer Pass zu erhalten. In der Konsequenz bedeutet dies, dass – je nach Ausgangslage – eine ausländische Person mehrfach eine «staatliche» Integrationsprüfung ablegen muss.
Nur der Schweizer Pass schützt vor der Wegweisung
Die Durchsetzungsinitiative widerspricht dieser Integrationspolitik in fundamentaler Weise. Denn unabhängig davon, wie lange eine ausländische Person in der Schweiz ist oder welchen Aufenthaltsstatus er/sie inne hat, riskiert er/sie bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einem der aufgelisteten Delikte einen automatischen Wegweisungsentscheid und eine Landesverweisung von bis zu 20 Jahren im Wiederholungsfall. Die Wegweisung kann ebenfalls erfolgen, wenn die ausländische Person in den letzten zehn Jahren bereits zu einer Freiheits- oder Geldstrafe verurteilt worden ist. Der Wegweisungsentscheid erfolgt unabhängig von einer Prüfung der persönlichen Situation der betroffenen Person. Und es spielt folglich auch keine Rolle, wie gut eine Person integriert ist. Ein solches System verstösst nicht nur gegen grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats, sondern fördert auch die bestehende Zweiklassengesellschaft «Ich: SchweizerIn – Du: AusländerIn».
Die einzige Möglichkeit sich vor einer automatischen Wegweisung zu schützen, ist der Besitz des Schweizer Passes. Eine Möglichkeit, die mit der Totalrevision des Bürgerrechtsgesetzes auf Bundesebene im Jahr 2014 deutlich erschwert worden ist. Die neu verlangten Kriterien orientieren sich dabei unmissverständlich am Erfordernis einer gelungenen Integration. Gleichzeitig erhalten die Kantone die Kompetenz weitere Integrationskriterien einzuführen. Die Schweiz kennt im Vergleich zu anderen europäischen Staaten eine sehr tiefe Einbürgerungsrate, was unter anderem an den hohen Anforderungen für die Einbürgerung liegt. Rund 25% der in der Schweiz lebenden Personen über 18 Jahre haben keine Möglichkeit der politischen Mitbestimmung auf Bundesebene, weil sie nicht eingebürgert sind und folglich keinen Schweizer Pass haben.
Die Durchsetzungsinitiative verstärkt die Spaltung der Gesellschaft
Erst kürzlich hat eine Studie gezeigt, dass eine frühe Einbürgerung die Integration erheblich fördert. Denn die Möglichkeit der Mitbestimmung und politischen Teilhabe ist gerade in einer direkten Demokratie ein wichtiges Element der gesellschaftlichen Zugehörigkeit. Im vorliegenden Fall bestimmen die Mehrheit, nämlich die SchweizerInnen, über eine Minderheit, nämlich die AusländerInnen. Wobei sich die Durchsetzungsinitiative nur auf diejenigen Personen auswirkt, die keinen Schweizer Pass besitzen. Eine Annahme dieser Initiative schürt die Spaltung innerhalb unserer kulturell vielfältigen Gesellschaft – was die Integrationspolitik weder nachhaltig fördert noch unterstützt. Im Gegenteil: die Durchsetzungsinitiative verstärkt die Ausgrenzung von denjenigen Personen, welche – unabhängig ihrer Gründe – keinen Schweizer Pass besitzen.
Gemäss dem Integrationsgrundsatz «Fordern und Fördern» sind die SchweizerInnen ebenfalls in der Verantwortung ihren Beitrag zur Integration zu leisten. Laut dem Ausländergesetz setzt Integration sowohl den entsprechenden Willen der AusländerInnen als auch die Offenheit der schweizerischen Bevölkerung voraus. Folglich sind die SchweizerInnen in der Verantwortung, ihre Rolle im Bereich der Integration wahrzunehmen. Und, entsprechend ist die Durchsetzungsinitiative am 28. Februar 2016 abzulehnen.
Stefanie Kurt
PostDoc, nccr – on the move, Universität Neuenburg