Outro: Soziale Arbeit im Migrationsrecht: vielfältig und lebendig

09.07.2020 , ((Keine Kommentare))

Die Blogbeiträge zur zweiten Ausgabe der Serie Soziale Arbeit, Migration, Mobilität und Integration widmeten sich erneut verschiedenen Aspekten und thematisierten Fragen, welche sich heute, aber auch zukünftig stellen. Die aktuelle Covid-19-Situation verlangt dabei einen genauen und kritischen Blick – gerade auf diejenigen migrationsrechtlichen Auswirkungen, welche in der derzeitigen «Krise» ungenügend beachtet aber auch durch diese hervorgerufen werden.

Die Beiträge illustrierten, dass das Migrationsrecht weitreichend in den Handlungsspielraum der Professionellen der Sozialen Arbeit eingreift. Während einige Autor*innen Begriffe und Konzepte an der Schnittstelle von Migration und Sozialer Arbeit thematisierten – etwa den «Ausländeranteil» (Peter Streckeisen), differenzsensible multikulturelle Politik (Barbara Waldis) oder Ethnisierung in der Street-Level Bureaucracy (Esteban Piñeiro, Martina Koch und Nathalie Pasche), zeigten andere die Konsequenzen einer restriktiven Migrationsgesetzgebung für die Profession auf.

Professionsethische Balanceakte für Sozialarbeitende

Zentral erscheint gemäss Maria Acosta eine professionsethische Auseinandersetzung im Migrationsbereich da, wo Sozialarbeitende im beruflichen Alltag nicht mit den anzuwendenden gesetzlichen Grundlagen «einverstanden» sind oder sie schwer umsetzbar erscheinen. So zeigt die von Eva Mey beschriebene Situation in den Bundesasylzentren, dass die Soziale Arbeit in vielschichtige hierarchische Machtverhältnisse eingebunden ist, aber auch Teil eines Geflechts von mitunter gegenläufig handelnden Akteur*innen wird. Diese Verwaltungslogik, vorgegeben durch den nationalstaatlichen (migrations-)rechtlichen Rahmen, leistet einigen Problematiken Vorschub. So verunmöglicht eine derartige institutionelle und rechtliche Einbettung der Sozialen Arbeit häufig die Ausübung von sozialarbeiterischen und sozialpädagogischen Interventionen, was sich laut Lea Summermatter und Fabienne Zimmermann auch in der Arbeit mit Nothilfe beziehenden Frauen zeigt. Schliesslich prägen die Machtverhältnisse und Verwaltungslogiken auch den beruflichen Alltag von Professionellen der Sozialen Arbeit im Bereich der Obdachlosigkeit, wie Hélène Martin und Béatrice Bertho aufgezeigt haben. Den vielfältigen und komplexen Herausforderungen stehen knappe finanzielle und personelle Mittel und enge Handlungsspielräume gegenüber, was die tägliche Arbeit erschwert.

Zusätzlich muss die im Rahmen des Migrationsrecht ausgeübte Soziale Arbeit den Balanceakt zwischen «Hilfe» und «Kontrolle» meistern. Die Kontrollfunktion manifestiert sich etwa im Bereich der von Lisa Marie Borelli kritisch beleuchteten Anwesenheits-, Auskunfts- und Meldepflicht. Die «Hilfe» erfolgt in Form von unterschiedlichen sozialarbeiterischen und sozialpädagogischen Interventionen. Und gemäss Daniela Duff gilt es hier, Methoden der ganzheitlichen Förderung einzusetzen und auch die weniger sichtbaren Ressourcen zu aktivieren.

Auswirkungen der restriktiven Migrationsgesetzgebung: Noch sichtbarer durch Covid-19

Einige Effekte der restriktiven Migrationsgesetzgebung werden durch die aktuelle Covid-19 Situation verstärkt – und die Soziale Arbeit ist mittendrin. Dies geschieht nicht etwa nur in der zu Beginn der Serie diskutierten und in unserem nccr – on the move Projekt untersuchten Verknüpfung von Sozialhilfebezug und Aufenthaltsstatus, beziehungsweise Einbürgerung, sondern auch im von Simon Mastrangelo thematisierten Sichtbarwerden der Prekarität von Personen ohne Aufenthaltsstatus.

Die bestehende und spärliche Kritik zur Sozialen Arbeit im Bereich Migration, Mobilität und Integration reproduziert – gerade in Zeiten von Covid-19 – die bestehenden migrationsrechtlichen Rahmenbedingungen und bestätigt damit letztlich die Rolle der Soziale Arbeit als «Handlangerin» des Migrationsrechts (Humphries 2004). Umso dringender ist die Profession, aber auch die Praxis aufgefordert, eine kritischere Positionierung zu den aktuellen (migrations-)rechtlichen Grundlagen und den darauf basierenden Machtverhältnissen und Verwaltungslogiken zu entwickeln, zu diskutieren, zu reflektieren und ein gemeinsames Argumentarium zu verfassen.

Die Beiträge verdeutlichen, dass Soziale Arbeit im und mit dem Migrationsrecht vielfältig, lebendig und herausfordernd ist. Umso mehr ist der stetige Austausch an der Schnittstelle von Sozialer Arbeit und Migration, Mobilität und Integration fortzusetzen.

Stefanie Kurt ist Assistenzprofessorin (Tenure Track) an der HES-SO Valais-Wallis am Institut Soziale Arbeit in Siders (VS) und Projektleiterin im nccr – on the move.

Referenz

– Humphries, B. 2004. An Unacceptable Role for Social Work: Implementing Immigration Policy, British Journal of Social Work 34(1), 93–107.

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