Rollenklärung und Loyalitätskonflikte in der Sozialen Arbeit

19.03.2019 , in ((Blog Serien, Blog series, Social Work)) , ((Keine Kommentare))

Die Blog Serie zeigte diverse Beispiele der Theorie und der Praxis der Sozialen Arbeit im Migrationsbereich auf: Soziale Arbeit an Dritte ausgelagert, Soziale Arbeit in der Administrativhaft, Soziale Arbeit im Integrationsbereich, Soziale Arbeit mit transnationalen Familien und schliesslich Soziale Arbeit mit emigrierenden Jugendlichen. Die Themen sind so vielfältig wie der disziplinäre Hintergrund der Autorinnen und des Autors – und die Arbeitsgebiete der Sozialen Arbeit selbst.

Die meisten Beiträge stellen explizit oder implizit einen Bezug zu den rechtlichen Grundlagen im Migrationsbereich her. Diese rechtlichen Grundlagen, wie beispielsweise das Asylgesetz, das Ausländer*innen- und Integrationsgesetz, oder das Bürgerrecht, eröffnen Handlungsspielräume oder schränken – vereinfacht ausgedrückt – die Arbeit von Professionellen der Sozialen Arbeit ein.

In der Sozialen Arbeit wird oft von einem sogenannten Tripelmandat gesprochen. Das bedeutet, dass professionelles Handeln sich gegenüber Adressat*innen, gegenüber der Gesellschaft respektive dem/der Leistungsträger*in und auch gegenüber dem Berufskodex, basierend auf den Menschenrechten, verantworten muss. In der Konsequenz wären Professionelle der Sozialen Arbeit verpflichtet – je nach Umständen – entgegen dem Auftrag des/der Träger*in zu handeln. Das Tripelmandat kann also als legitimierender Grund zur Verweigerung oder Annahme eines Auftrags herangezogen werden.

Staub-Bernasconi appelliert an die Pflicht der Sozialen Arbeit sich in (sozial-)politische Entscheidungsprozesse einzumischen (vgl. dazu der Beitrag von Lelia Hunziker). Dabei ist ein kollektives öffentliches Auftreten der Professionellen der Sozialen Arbeit erfolgsversprechender als individuelle Einmischungen. Dennoch: Unterschiedliche Machtpositionen (vgl. dazu der Beitrag von Christiane Carri und Lisa Marie Borrelli), Loyalitäts-, Handlungs- und Rollenkonflikte sind im Rahmen dieses Mandatsdreiecks vorprogrammiert (Staub-Bernasconi 2018). Ist daher Soziale Arbeit im Migrationsbereich ein «weisungsgebundener Beruf auf rechtlicher Basis» (Böhnisch und Lösch 1973) oder wird die Soziale Arbeit dem Anspruch einer Menschenrechtsprofession gerecht (Staub-Bernasconi 2018)?

Soziale Arbeit im Migrationsbereich zwischen Hilfe und Kontrolle

Die Soziale Arbeit, und insbesondere der Migrationsbereich ist stark durch «Hilfe und Kontrolle» geprägt. Die gesetzlichen Grundlagen bestimmen, lapidar ausgedrückt, wer wann, unter welchen Voraussetzungen, welche Rechte und Pflichten hat (vgl. dazu Beitrag Amel Mahfoudh und Barbara Waldis). Die Soziale Arbeit muss entsprechend ihre Rolle in der (in)direkten Anwendung der Gesetze klären und Loyalitätskonflikten «offen» begegnen, thematisieren und Position beziehen.

Dabei Handlungsspielräume in einem (restriktiven) Arbeitsbereich zu öffnen, erscheint angesichts der aktuellen Migrationsgesetzgebung eine Herausforderung. Verstärkt wird dies durch fehlende empirische Untersuchungen sowie mangelnde theoretische und praxisbezogene Auseinandersetzungen auf Forschungsebene.

Beispielsweise können vertiefte rechtliche Fachkenntnisse in der Begleitung mit betroffenen Personen oder in Diskussionen mit Behörden und Institutionen eine erste Hilfestellung bieten. Als Gegenstrategie zu «Hilfe und Kontrolle» kann die punktuelle oder ganzheitliche Teilhabe gefördert werden (vgl. dazu Beitrag von Silvia Eyer). Im Asylbereich können beispielsweise die Unterstützung und Förderung von Alltagskompetenzen, wie Kochen, Nähen und Reparieren eine zentrale Bedeutung einnehmen (Jungk, 2016). Schliesslich können Netzwerke und Austauschtreffen sowohl mit betroffenen Personen wie auch mit den zuständigen Behörden organisiert und durchgeführt werden (Bareis Ellen und Wagner Thomas, 2016). Auch die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft ist eine Option. Jedoch birgt dies Risiken hinsichtlich der Auslagerung von streng genommen staatlichen Aufgaben (vgl. dazu Beitrag von Lisa Marie Borrelli), was zur Destabilisierung der Profession der Sozialen Arbeit führen kann (Graf 2016).

Soziale Arbeit fördert den sozialen, gesellschaftlichen und politischen Wandel

Die Soziale Arbeit ist folglich gefordert, dieses Spannungsfeld differenziert anzugehen. Denn verbleibt die Soziale Arbeit bei einem Doppelmandat, dass sich auf Hilfe und Kontrolle stützt, so verringert sich der Handlungsspielraum beträchtlich (vgl. dazu Beitrag von Elise Taiana und das Forschungsprojekt «Restricting Immigration: Practices, Experiences and Resistance» unter der Leitung von Prof. Christin Achermann, «nccr – on the move»). Das dritte Mandat der Sozialen Arbeit ermöglicht, hier kritisch Stellung zu beziehen, die ethisch-moralische und menschenrechtliche Legitimität zu hinterfragen und soziale Innovationen hervorzubringen (vgl. dazu der Beitrag von Esteban Piñeiro, Staub-Bernasconi 2018).

Diese Blog Serie an der Schnittstelle von Sozialer Arbeit, Migration, Mobilität und Integration zeigt die Vielfalt der Profession auf, hinterlässt freilich auch einige Wissenslücken und Themengebiete, welche vertieft diskutiert werden müssen. So ist zu hoffen, dass diese Serie zu weiterführenden theoretischen, wie praktischen Debatten sowohl in der Wissenschaft, in der Ausbildung als auch in der Praxis der Sozialen Arbeit einen Beitrag geleistet hat und diese fortgeführt werden. Denn Soziale Arbeit hat im Migrationsbereich die zentrale Aufgabe, zu einem sozialen, gesellschaftlichen und politischen Wandel beizutragen.

Stefanie Kurt ist Assistenzprofessorin (Tenure Track) an der HES-SO Valais-Wallis am Institut Soziale Arbeit in Siders (VS).

Referenzen:

– Bareis E. und Wagner, T. (2016). ‚Flucht als soziale Praxis – Situation der Flucht und Soziale Arbeit.‘ Widersprüche, (3): 29–46.
Böhnisch, L., und Lösch, H. (1973). ‚Das Handlungsverständnis des Sozialarbeiters und seine institutionelle Determination‘. In: H.-U. Otto & S. Schneider (Eds.), Gesellschaftliche Perspektiven der Sozialarbeit. Neuwied: Luchterhand.
Graf, L. (2016). ‚Die ambivalente Rolle ehrenamtlichen Engagements in der Transformation des Asylregimes‘. Widersprüche, 141(3): 87–96.
Jungk, S. (2016). ‚Von neuen Chancen, alten Fehlern und Versäumnissen‘. Widersprüche, (141): 99–108.
Staub-Bernasconi, S. (2018). Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft (2., vollständig überarbeitete u. aktualisierte Ausgabe). Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich.

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