«Sans-Papiers»: Meldepflicht für Schulbehörden?

05.03.2018 , in ((Politik, Sans-Papiers)) , ((Keine Kommentare))

Die eingereichte Motion «Für eine kohärente Gesetzgebung zu Sans-Papiers» der Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit verlangt unter anderem einen erleichterten Datenaustausch zwischen staatlichen Stellen bei Personen ohne geregelten Aufenthaltsstatus, sogenannten «Sans-Papiers». Dies soll beispielsweise auch beim Schulbesuch gelten: Schulen sollen den zuständigen Behörden Kinder ohne geregelten Aufenthaltsstatus melden können.

Die Kinderrechtskonvention verpflichtet die Schweiz, das Recht der Kinder auf Bildung anzuerkennen und den Besuch einer unentgeltlichen Grundschule für alle Kinder verpflichtend zu machen (Art. 3 KRK; Art. 28 KRK). Auch der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte beinhaltet diesen Anspruch (Art. 13 Abs. 2 let.a Uno-Pakt I). Gemäss der Schweizer Bundesverfassung (BV) haben Kinder und Jugendliche Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung (Art. 11 Abs. 1 BV). Zusätzlich besagt Art. 19 BV, dass der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht gewährleistet ist. Art. 62 Abs. 2 BV hält fest, dass die Kantone für diesen ausreichenden Grundschulunterricht verantwortlich sind und er allen Kindern offenstehen muss. Und schliesslich hat die «Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren» in der Vergangenheit mehrfach bestätigt, dass alle Kinder, die in der Schweiz leben, in die öffentliche Schule zu integrieren sind.

Ein Blick auf vergangene Diskussionen

Der Bundesrat wurde in einem Postulat im Oktober 2007 beauftragt, zu prüfen, wie der Datenaustausch zwischen den Behörden des Bundes und der Kantone vereinfacht werden kann. Obwohl darin keine Abklärungen bezüglich einer möglichen Meldepflicht und/oder eines Datenaustausches bei Sans-Papiers-Kinder vorgesehen waren, beschloss der Bundesrat dies vertieft abzuklären. Der nachfolgende Statusbericht vom 9. Mai 2012 hält fest, dass die Einführung einer Meldepflicht der Schulbehörden – und zwar verbunden mit einer ausländerrechtlichen Härtefallregelung – grundsätzlich möglich wäre, diese jedoch in einem Spannungsfeld zu den Bestimmungen in der Bundesverfassung, in der Kinderrechtskonvention und im Uno-Pakt I stünden. Denn: eine Meldepflicht der Schulbehörden hebt die bestehende Schulpflicht für Kinder in der Schweiz nicht auf. Aus diesem Grund werden Eltern ihre Kinder womöglich nicht mehr zur Schule schicken, da das Risiko einer Wegweisung aus der Schweiz sehr hoch ist. Eine allfällige Meldepflicht müsste daher mit der Erteilung eines Aufenthaltsstatus verbunden werden.

Im Zuge der Teilrevision des Ausländer*innengesetzes erwähnte der Bundesrat noch einmal die Möglichkeit einer Meldepflicht der Schulen bei Kindern ohne geregeltem Aufenthalt. Die Revision sah unter anderem vor, dass der Kreis der meldepflichtigen Behörden erweitert werden soll: Entscheide, die auf einen ungünstigen Verlauf des Integrationsprozesses hindeuten, sollen den Migrationsbehörden automatisch bekannt gegeben werden. Dies können beispielsweise Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz oder Schulverweise sein. Der Bundesrat hält jedoch fest, dass hinsichtlich Sans-Papiers-Kinder Ausnahmen vorzusehen seien. Denn ein automatischer Datenaustausch widerspricht deren völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Rechten. Auf die Einführung einer gesetzlichen Meldepflicht von Schülerinnen und Schülern ohne geregelten Aufenthaltsstatus an die zuständigen Migrationsbehörden ist somit zu verzichten.

Die aktuelle Änderung der Verordnung über die Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) hält dies nun in Art. 82c Abs. 2 E-VZAE fest: Schulbehörden sind nicht verpflichtet definitive Schulausschlüsse sowie vorübergehende Schulausschlüsse den Migrationsbehörden zu melden, wenn dies Schülerinnen und Schüler ohne geregelten Aufenthaltsstatus betrifft.

Die eingangserwähnte Motion stellt diese neue gesetzliche Regelung – noch nicht einmal in Kraft – bereits wieder in Frage.

Stefanie Kurt
Assistenzprofessorin FH, Institut Soziale Arbeit, Siders

 

Sans-Papiers in der Schweiz
Die Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats reichte am 26. Januar 2018 eine Motion ein, die eine kohärente Gesetzgebung zu «Sans-Papiers» fordert. Darin fordert sie unter anderen eine Zugangseinschränkung zu Sozialversicherungen, eine staatlich finanzierte Anlaufstelle im Krankheitsfall, verschärfte Strafverfolgung von Arbeitgeber*innen, Arbeitsvermittler*innen und Vermieter*innen von «Sans-Papiers», einen erleichterten Datenaustausch zwischen staatlichen Stellen sowie die Konkretisierung der Härtefallkriterien. Die Blog-Serie greift gewisse Elemente der Motion auf und diskutiert diese im Kontext von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Motion wurde am 18. Mai 2018 zurückgezogen.

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